Reflexive Verben benötigen das Reflexivpronomen „sich“, aber nicht immer und schon gar nicht beim Wurstkauf im Schlachterladen

„Da hört sich doch alles auf!“, empörte sich Frau Pumeier, weil sie beim Schlachter fünf Pfennig mehr für 100 Gramm grobe Leberwurst bezahlen sollte als in der Woche davor. Das Reflexivpronomen „sich“, das sie der Schlachterfrau dabei an den Kopf warf, war allerdings zu viel des schlechten Deutschs – das war Barmbeker Umgangssprache.

Ein Verb ist ein „Tuwort“. „Wir tun etwas“, wie uns die Lehrerin in der 1. Klasse erklärte. In späteren Schuljahren wurden die Definitionen anspruchsvoller: Verben werden kleingeschrieben und können konjugiert (gebeugt) werden. Ein Verb bezeichnet immer eine Handlung, einen Vorgang oder einen Zustand. Es gibt Hilfsverben (haben, sein, werden), Modalverben (können, mögen, dürfen, sollen, müssen, wollen) und Vollverben, und zwar Tätigkeitsverben (arbeiten, lesen), Vorgangsverben (regnen, wachsen) und Zustandsverben (frieren, stehen).

Wie jede Wissenschaft verzichtet auch die Sprachwissenschaft nicht darauf, ihre Systematik bis in die kleinste Verästelung zu treiben. Deshalb müssen wir innerhalb der Vollverben wiederum zwischen transitiven Verben, intransitiven Verben und reflexiven Verben unterscheiden. Transitive Verben haben ein Akkusativobjekt bei sich und können das Passiv bilden (Die Feuerwehr löschte den Brand/Der Brand wurde gelöscht). Intransitive Verben haben entweder kein Objekt (Sie schläft), ein Objekt im Dativ oder Genitiv (Ich helfe ihm) oder ein Präpositionalobjekt (Er steht auf der Straße).

Und dann gibt es die Gruppe der reflexiven, der „rückbezüglichen“ Verben. Reflexive Verben führen ein Reflexivpronomen mit sich, das sich auf das Subjekt des Satzes zurückbezieht. Das Prädikat allein reicht nicht, um die Syntax zu vervollständigen. „Er bedankt“, ist kein korrekter Satz. Die Aussage benötigt eine Art Reflex, der die Handlung auf den Handelnden zurücklenkt (reflektiert). Es fehlt das Reflexivpronomen „sich“: Er bedankt sich – und schon wird klar, wer was tut. Es gibt echte und unechte reflexive Verben. Unechte reflexive Verben können statt mit einem Reflexivpronomen auch mit einem Substantiv oder Personalpronomen gebraucht werden. Echt: Er ärgert sich. Unecht: Er ärgert seinen Lehrer – oder: Er ärgert ihn. Um auf Frau Pumeier und ihren Auftritt im Schlachterladen zurückzukommen: Das schwache Verb aufhören gehört weder zu den echten noch zu den unechten reflexiven Verben. Die Wendung: „Da hört sich doch alles auf!“, sollte, zumal in der Schriftsprache, vermieden werden.

Das kleine Reflexivpronomen sich bietet allerdings einige knifflige Probleme. In einer Grußbotschaft war zu lesen: „Wir hoffen, dass Ihre Gattin und Sie Sich im Urlaub gut erholt haben.“ Das ist falsch. Zwar muss man die Höflichkeitsanrede in der 3. Person Plural („Sie“) samt Possessivpronomen („Ihre“) in allen Fällen großschreiben, dagegen wird sich immer und überall kleingeschrieben. Aus einer Einladung: „Meine Verlobte und ich würden sich sehr freuen, wenn Sie zu unserer Hochzeitsfeier kämen.“ Bei einer Hochzeit kann mehr schiefgehen als die Grammatik, aber korrektes Deutsch weist der Satz nicht auf. Natürlich hätte es heißen müssen: „Meine Verlobte und ich würden uns sehr freuen.“ Das Reflexivpronomen sich ist ein Pronomen der 3. Person. Beim reflexiven Gebrauch der 1. und der 2. Person werden die Formen des Personalpronomens verwendet: Ich wasche mich. Du denkst an dich. Das Pronomen lautet immer uns, wenn ein Subjekt der 1. Person mit der 2. oder der 3. Person verbunden wird.

Nächstes Beispiel: „Lohnt es sich, auf diese Aufgabe zu konzentrieren?“ Nein, konzentrieren ist ein reflexives Verb, sich darf nicht wegfallen. Also richtig: „Lohnt es sich, sich auf diese Aufgabe zu konzentrieren?“ „Bitte sich beeilen!“, fordert der Schaffner die Reisenden auf. Wieder falsch! Bei reflexiven Verben entfällt sich, wenn der Infinitiv als Aufforderung gebraucht wird. „Bitte beeilen!“ wäre korrekt.

Man kann sich verlieben (zwei Wörter), wenn ein solches Sichverlieben (ein Wort) auch häufig in einem langen Sichausweinen endet. Ab und zu ändert sich bei reflexivem Gebrauch die Bedeutung eines Verbs: Der Arzt verschreibt (verordnet) ihm ein Medikament. Ich verschreibe mich (aus Versehen im Diktat).

Der Verfasser, 72, ist „Hamburgisch“-Autor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Sprach-Kolumne erscheint dienstags