Schluss mit Weltkriegs-Gerede. Die Ukraine-Krise muss diplomatisch entschärft werden

Der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk steckt in einer klassischen Zwickmühle: Geht er gegen die prorussischen Separatisten im Osten des Landes nicht vor, könnte sich dieser nach dem Vorbild der Krim abspalten und sich dem großen Nachbarn im Osten anschließen. Versucht der Übergangspremier, die Milizen zu entwaffnen, Straßensperren zu beseitigen und besetzte Gebäude zu räumen, riskiert er ein militärisches Eingreifen Moskaus.

Schon beschuldigt Jazenjuk Russland, es wolle den dritten Weltkrieg auslösen. Das will es aber so wenig, wie die ukrainischen Sicherheitskräfte gegen eine „friedliche Bevölkerung“ in den Ostprovinzen vorgehen, wie auf der anderen Seite der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu behauptet. Trotzdem ist die Lage auch ohne Weltkriegsrhetorik höchst besorgniserregend, denn bewaffnete Kräfte, einmal in Gang gesetzt, können allzu leicht außer Kontrolle geraten.

Ende Mai naht ein für beide Seiten wichtiges Datum. Die neuen Kräfte in Kiew, die ja durch den Sturz des gewählten Präsidenten Janukowitsch an die Macht gekommen sind, bedürfen dringend der demokratischen Legitimation. Das wäre die grundlegende Voraussetzung dafür, um überhaupt an eine Wiedererlangung von Stabilität und Regierbarkeit denken zu können. Auch was die zweifelhaften Verbündeten vom rechten Rand in Kiew betrifft.

Moskau wiederum verfolgt genau gegenteilige Interessen. Eine westlich orientierte Regierung soll auf jeden Fall verhindert werden. Vom ehemaligen Sowjet- oder wahlweise auch dem Zarenimperium soll möglichst viel restauriert werden. Zumindest strebt Putin eine neutrale Zone zwischen seinem Machtbereich sowie Nato und EU an.

Dabei war es um die ost-westlichen Verhältnisse durchaus schon einmal zum Besseren bestellt. Aber spätestens seit den Anti-Putin-Protesten des Jahres 2011 hat der russische Präsident einen landestypisch konservativen Kurs eingeschlagen. Seit den Versuchen Peters des Großen, das Riesenreich gen Westen zu öffnen und zu modernisieren, kommt es nach kurzen Annäherungen immer wieder zu diesem nach innen gewandten Reflex: Wir Russen haben unsere eigene Welt und Kultur, die es zu verteidigen gilt, wir sind von Feinden umzingelt, und vor allem der Westen betrügt uns und will uns vernichten. Die Bestrebungen von Nachbarn, sich der EU oder der Nato anzunähern, werden allein unter Machtgesichtspunkten gesehen. Freiheit, Demokratie und Rechtssicherheit sind keine Kriterien Moskauer Politik – und kommen deshalb für den Kreml auch nicht als Motiv für Ukrainer, Georgier oder Moldawier in Betracht. Außer den Russen selbst verspürt aber kein Volk eine Neigung, sich dem System aus teils unberechenbarer Despotie und notdürftig regulierter Wirtschaftskriminalität anzuschließen, während Freiheit und Wohlstand aus dem Westen eine ganz erhebliche Anziehungskraft entwickelt haben.

Diese Kräfte gilt es zu unterstützen. Allerdings nicht mit militärischer Eskalation, sondern mit der Rückbesinnung auf diplomatische und wirtschaftliche Möglichkeiten. Statt verbaler Aufrüstungen müssen gegenseitige Sicherheitsgarantien her. Eine allseits akzeptierte Lösung kann nur auf dem Verhandlungsweg erarbeitet werden. Je schneller der beschritten wird, desto besser. Motivierend für Moskau, den Eskalationskurs zu verlassen, könnten die Kosten eines umfassenden Embargos sein – oder umgekehrt die Aussicht auf bessere Geschäfte in einer gedeihlicheren Zukunft ohne permanente Drohungen gegen missliebige Nachbarn. Noch ist es nicht zu spät, größeres Blutvergießen zu verhindern. Und darauf muss endlich das Hauptaugenmerk aller Beteiligten gerichtet sein. Konsequent, ohne gegenseitige Vorwürfe.