Die Konfrontation mit Russland muss entschärft werden – mit diplomatischen Mitteln

Fast genau 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs spricht man in Europa vom Risiko eines neuen Kalten Krieges zwischen dem Westen und Russland. Dass es 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs so weit kommen konnte, ist ein Desaster auch für die Politik der Europäischen Union. Wirtschaftssanktionen der USA und der EU sollen Russlands Expansionsdrang nach der Annexion der Krim nun eindämmen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass solche Maßnahmen einen kurzfristigen Effekt bringen. Russland ist zäh und fest entschlossen, seine Interessen in Osteuropa zu behaupten. Das wichtigste Ziel muss es jetzt sein, die Situation zu deeskalieren. Das aber kann nur intensive Diplomatie leisten.

Es ist erschreckend, dass der Westen und Russland so schnell in alte Feindbilder verfallen. Schon geistert auch in Deutschland die Idee umher, die Russen könnten das Gas in den Pipelines nach Westen abdrehen und dann ihre Panzer anwerfen. Hat ein Vierteljahrhundert Annäherung und gegenseitiges Verständnis, haben wirtschaftliche Bindungen und kulturelle Kontakte tatsächlich so wenig gebracht? Wladimir Putin ist kein Demokrat, Russland ist keine Demokratie nach unserem Verständnis. Aber auf dem Weg hin zu einem moderneren, offeneren, demokratischeren Land war Russland vor zehn Jahren deutlich weiter, als es heute ist – im engen Schulterschluss auch mit Deutschland und der EU. Leider wurde dieses Kapital verspielt, von beiden Seiten.

Putin will seinen Einfluss in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion zumindest festigen, vor allem dort, wo russische Staatsangehörige leben. Dafür nimmt er im Zweifel auch militärische Gewalt in Kauf, das hat er während des Kaukasuskrieges 2008 beim Einmarsch in Georgien bereits bewiesen. Russland und Putin aber streben auch nach der Anerkennung und dem Respekt, die dem größten Flächenstaat der Erde, der ehemaligen Supermacht und noch heutigen Atommacht aus ihrer Sicht gebühren.

Die guten und engen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen Hamburgs, aber auch Mecklenburg-Vorpommerns mit Russland zeigen, wie Wandel durch Handel idealtypisch funktioniert. Sie machen auch deutlich: Zwischenstaatliche Erfolge ebenso wie Verwerfungen basieren zumeist auf langfristigen Entwicklungen. Wirtschaftssanktionen werden kurzfristig keinen Eindruck auf die russische Regierung machen und vermutlich auch nicht auf die Mehrheit der russischen Bürger. Denn der öffentliche Modus in Russland steht auf Stolz – Überschwang darüber, russische Interessen auf der Krim gewahrt zu haben.

Die Mechanismen der Eskalation sind in dieser Lage brandgefährlich: gegenseitige Vorwürfe, Sanktionen, aggressive Rhetorik. Diese Spirale muss schnell durchbrochen werden. In den Vergleichen vom Beginn des Ersten Weltkriegs mit der Situation heute ist oft zu lesen und zu hören, die Umstände damals seien gänzlich andere gewesen als die heutigen, ein Krieg in Osteuropa deshalb ausgeschlossen. Das mag überwiegend stimmen. Richtig ist aber auch: Zum Krieg kam es 1914 nicht zuletzt wegen der Borniertheit und Ignoranz etlicher der beteiligten Entscheidungsträger.

In der Ukraine findet ein Stellvertreterkonflikt zwischen Russland und dem Westen statt. So weit hätte es niemals kommen dürfen. Es war eine schöne Illusion, eine Opposition um den Sympathieträger Vitali Klitschko, um die große Selbstdarstellerin Julia Timoschenko und andere Beteiligte könne das Land nach den Demonstrationen auf dem Maidan in eine glänzende Zukunft führen. Doch plötzlich geht in Europa Kriegsangst um.

Eine freie, selbstbestimmte Ukraine ist ein hohes Gut. Doch wiegt der Frieden in Europa weniger? Die USA und die Europäische Union, Russland und die Ukraine müssen an einen Tisch. Am besten schon morgen.