Die Angst des Autokraten vor der digitalen Freiheit

Mehrere Hundert Menschen starben in den Unruhen des Arabischen Frühlings, sie standen auf den Straßen Kairos und demonstrierten, viele Tausende kämpften auf den Plätzen in Tunesien gegen die herrschenden Despoten, so wie vor wenigen Tagen noch die Menschen auf dem Maidan in Kiew oder in diesen Tagen die Bürger der Türkei gegen den Autokraten Erdogan. Es sind keine „digitalen Revolutionen“, wie es so oft schillernd vermarktet wird. Die Toten waren nicht virtuell. Warum aber fürchten sich Herrscher wie Recep Tayyip Erdogan in der Türkei vor den sozialen Netzwerken, warum sperren sie den Kurznachrichtendienst Twitter? Es ist die Unkontrollierbarkeit des Netzes, das ihr Denken in den Kategorien absoluter Kontrolle durchbricht.

Facebook und Twitter waren im Arabischen Frühling anfangs neben dem Handy die wichtigsten Medien zur Mobilisierung der Proteste. In der Türkei sind die Menschen stark digital vernetzt, weil die Zensur bislang nicht so hart durchgegriffen hat wie etwa in Tunesien vor dem Umsturz. Und Twitter und Facebook bilden eine Gegenwelt zu den inszenierten Bildern der Autokraten. Twitter ist eine radikal subjektive Informationsquelle, weil Aktivisten ihre Nachrichten oder Bilder von Demonstrationen ins Netz schießen – ohne Faktencheck oder Recherche. Aber gerade die Masse der ungefilterten Posts ergibt ein Bild.

Ein Bild, das sich der Zensur der Herrscher entgegenstellt. Das ägyptische Staatsfernsehen sendete in einer Propagandainszenierung inmitten des Volksaufstandes Bilder eines angeblich leeren Tahrir-Platzes. Als die Polizei auf Istanbuls Straßen die Demonstranten niederknüppelte, zeigte das türkische Fernsehen Kochsendungen und Quizshows.

Und doch brauchen Revolutionen Orte: Parlamentsgebäude, die gestürmt werden, Plätze in den Zentren der Hauptstädte, die als Versammlungsorte dienen. Kein undemokratischer Herrscher wurde allein per Twitter gestürzt. Aber soziale Netzwerke können den Druck erhöhen. Am Ende ist eine Interaktion traditioneller und neuer Medien entscheidend für erfolgreiche Umbrüche.

Das weiß auch Erdogan.