Ein EU-Beitritt der Türkei ist auf absehbare Zeit ausgeschlossen

Als das New Yorker Komitee zum Schutz von Journalisten die Türkei 2013 als „weltgrößtes Gefängnis für Journalisten“ bezeichnete und die Organisation Reporter ohne Grenzen vorrechnete, dass dort mehr Journalisten in Haft säßen als im Iran oder in China, verunglimpfte der türkische Regierungschef Erdogan derartige Kritiker als „Terroristen“. Dies wirft ein Schlaglicht auf das Selbst- und Demokratieverständnis eines Mannes, der bei der Entfaltung und Verteidigung seiner eigenen Macht und auch der seines Landes keine Beißhemmung mehr zu kennen scheint.

Der Besuch Erdogans in Berlin dient einem doppelten Zweck: Stimmung bei den in Deutschland lebenden Türken im Vorfeld der türkischen Kommunalwahlen im März zu machen sowie Forderungen an Deutschland und die EU bezüglich eines beschleunigten Aufnahmeprozesses zu stellen. Angesichts des brutalen Vorgehens der Polizei gegen Demonstranten in Istanbul, angesichts der Korruptionsvorwürfe gegen das System Erdogan, der Zensur bei Presse und Internet, der zunehmenden Missachtung der Gewaltenteilung mit der Manipulation der türkischen Justiz durch die Politik und der schleichenden Islamisierung der türkischen Gesellschaft ist eine derartige Forderung geradezu dreist.

Befürworter eines türkischen EU-Beitritts argumentieren stets, dies könne die politisch volatile Türkei stabilisieren. Doch vielleicht sollte die EU einen Beitritt weniger danach beurteilen, was eventuell zuträglich für die Türkei ist, sondern was der EU dient. Zumal auch die türkische Währung derzeit verfällt, ausländische Investoren aufgrund der innenpolitischen Verwerfungen ihr Geld abziehen und sich Millionen Türken überschuldet haben. Erdogan, der in jungen Jahren als glühender Islamist Haftstrafe und Berufsverbot erhielt und der dann antrat, die korrupten Eliten abzulösen, und der zunächst auch manches in der Türkei liberalisierte und ein furioses Wirtschaftswachstum entfesselte, ist nun selbst dem Sog der Macht erlegen. Europa und die Türkei mit ihrer überregionalen Ausstrahlung sollten eine enge Kooperation pflegen; doch in der gegenwärtigen Verfassung kann die Türkei nicht auf einen Beitritt zur EU in absehbarer Zeit hoffen.