HSV-Entscheidung: Der Verein braucht neue Strukturen, vor allem aber eine neue Kultur

Weder wird Lotto King Karl seine HSV-Hymne anstimmen, noch werden Torschützen frenetisch gefeiert. Und doch steht der HSV am Sonntag vor dem wichtigsten Heimspiel des Jahres. Bei der Jahreshauptversammlung im CCH geht es um nichts weniger als um die Zukunft des Traditionsvereins.

Über fünf Modelle für eine neue Vereinsstruktur können die Mitglieder abstimmen. Der Wunsch nach Veränderung eint dabei fast alle Fans. Sie spüren, dass sich der Fußball-Dino – noch nie stieg das Gründungsmitglied der Bundesliga ab – ändern muss, um zu überleben. Bei der Jahreshauptversammlung 2012 reichte etwa ein stimmungsvoller Vortrag inklusive Zeigen des HSV-Trikots unter dem Jackett, um in den Aufsichtsrat gewählt zu werden – also in jenes Gremium, das über den Sportchef, die Schlüsselfigur im Profifußball, entscheidet. Auch die völlig anachronistische Regel, dass sich der Vorstand jede Transferausgabe über 500.000 Euro vom Aufsichtsrat genehmigen lassen muss, zeigt, dass es ein „weiter so“ nicht geben darf.

Vieles spricht dafür, dass HSVPlus das Rennen machen wird. Es ist der weitreichendste Vorstoß, sieht sowohl die Ausgliederung der Profiabteilung als auch die Öffnung für Investoren vor. Die HSVPlus-Macher haben im Wahlkampf von der sportlichen und finanziellen Misere profitiert – jede Krise forciert den Wunsch nach massiven Veränderungen. Und die von Milliardär Klaus-Michael Kühne in Aussicht gestellten Millionen bei einem Votum für HSVPlus werden die Wahlchancen weiter erhöhen.

Die Sorgen vieler Mitglieder vor einem Ausverkauf ihres Vereins sind dennoch ernst zu nehmen, ebenso wie die Frage, ob es wirklich klug ist, Anteile ausgerechnet in einer tiefen Krise zu verkaufen. Und dass Geld nicht unbedingt glücklich machen muss, zeigt das Beispiel Borussia Dortmund. 2000 sammelte der heute wieder so erfolgreiche Revierclub umgerechnet 130 Millionen Euro auf dem Börsenparkett ein – und stand fünf Jahre später Millimeter vor dem Konkurs.

Nein, weder Geld noch neue Strukturen werden reichen, damit der HSV wieder an seine Erfolgszeiten anknüpfen kann. Dieser Verein braucht vor allem eine neue Kultur. Seit Jahren zerfleischen sich Entscheidungsträger; gegenüber dem Betriebsklima beim HSV ist die schwarz-rote Koalition eine Liebe in den Flitterwochen. In Hintergrundgesprächen pestet jeder gegen jeden; bei der Suche nach vermeintlichen Maulwürfen wird mit Rechtsanwälten gedroht. Der ständige Wahlkampfmodus, in einem Jahr werden wieder neue Räte gewählt, fördern Neid und Missgunst. Hinzu kommen abenteuerliche individuelle Fehler. Dazu gehört die handgreifliche Auseinandersetzung eines Aufsichtsrats mit einem Ordner am Trainingsgelände ebenso wie der billige Internetspott des HSV-Aufsichtsratschefs Manfred Ertel über Steuersünder Uli Hoeneß („FC Bayern vor dem nächsten Transfer-Hammer: Hoeneß zu JVA München“). Die Querelen und Pannen haben dem Bild des HSV in der Branche mehr geschadet als die Kette von Transferflops.

Die Strukturdebatte vertieft die Gräben, kann zur Zerreißprobe für den Verein werden. Ausgerechnet im Abstiegskampf könnten sich Fans, frustriert über den möglichen Einstieg von Investoren, abwenden.

Der Vorstand, allen voran Chef Carl Jarchow, steht vor einer Herkulesaufgabe. Für den wahrscheinlichen Fall, dass HSVPlus am Sonntag die 50-Prozent-Hürde nehmen sollte, muss die Vereinsführung bis zur nächsten Versammlung im Frühjahr eine Vorlage erarbeiten, die dann 75 Prozent Zustimmung braucht. Der HSV benötigt ein konsensfähiges Modell, das trägt und keine Verlierer schafft. Ein kluger Kompromiss könnte der Aufbruch in eine neue Kultur des Miteinanders sein. Sonst ist dem Dino wirklich nicht mehr zu helfen.

Der Autor ist Sportchef des Hamburger Abendblatts