Karin Beier und ihr riskanter Schauspielhaus-Neustart

In den vergangenen Jahren war es viel zu oft viel zu gediegen in der Hamburger Kulturlandschaft. Irgendwas war immer. Genau damit soll von diesem Sonnabend an Schluss sein, mit diesem Netten, Lauwarmen, Erwartbaren. Denn irgendwas ist zu wenig. Irgendwas hat kein Profil und zu wenig Mumm und bewegt sich in der entbehrlichen Preisklasse von „nett“. Es soll wieder um etwas gehen, um mehr als Impulse, die schnell aus dem Kurzzeitgedächtnis verschwinden. Umhauen, hin und weg sein statt nur Najagingso oder die Frage, wo man danach noch einen trinken geht.

Noch jeder Staatstheaterchef, der seinen Job gelernt hat, geht mit so vollmundigen Ansagen an den Start, bei ihm und nur bei ihm werde der tiefe Teller jetzt ganz neu erfunden. Doch kaum jemand hat eine derart dramatische Jobvorgeschichte vorzuweisen wie Hamburgs neue Schauspielhaus-Chefin Karin Beier. Ein Vorgänger, Tom Stromberg, hatte sich zunächst in eine Ecke gespielt und dann, auf den letzten Metern, Wind unter die Flügel bekommen. Ein anderer, Friedrich Schirmer, scheiterte tragisch an den eigenen Ideen. Danach war der Ruf des Hauses fast so sehr im Eimer wie seine antike Bühnentechnik. Durststrecke, Vertrauensverlust, Regionalliga: Deutschlands größtes und für viele schönstes Sprechtheater war in den letzten Jahren stehend k.o. Die Kölner Schauspielchefin war gegen diese Not als Heilsbringerin engagiert worden, sie konnte der Stadt so ziemlich jeden Wunsch in ihren Vertrag diktieren. Tat sie dann ja auch. Solche Chancen gibt es nur einmal, Beier hat sie clever genutzt.

Die Erwartungen an diesen Abend sind nicht zuletzt durch die Umbauprobleme und -unfälle im Schauspielhaus ins fast Hysterische gestiegen. Gefühlt hat „Die Rasenden“, Beiers Antikenmarathon, bei vielen Theaterinteressierten offenbar schon mehrtägige Ausmaße. Dabei sind gut fünf Stunden reine Spielzeit gerade mal ein lahm wegdirigierter „Tristan“. Diese Überlänge ist ein Signal, kein Symptom. Und selbst falls Beiers erste große Premiere unter dem Gewicht der viel zu vielen Vorschusslorbeeren in die Knie gehen sollte, ihre Ansage steht: Der Wahnsinn ist wieder da.