Der neue Vorsitzende Christian Lindner sucht den liberalen Neuanfang

Wie sang Kris Kristofferson einst doch so schön melancholisch-philosophisch in seiner Ballade „Me and Bobby McGee“: Freedom’s just another word for nothing left to lose – Freiheit bedeutet nichts anderes, als dass man nichts mehr zu verlieren hat. An diesem Punkt ist auch die FDP angelangt. Sie ist weitgehend frei von Wählern, die Parteikasse ist leer, manche der führenden Mitglieder machten sich frei von Loyalität gegenüber ihrem ehemaligen Vorsitzenden Philipp Rösler. Die gesamte Partei entledigte sich großer Visionen und verengte Liberalismus auf Steuersenkungen und bescheidene Vorteile für die eigene Klientel.

Frei ist die Partei nun auch vom langjährigen Koalitionspartner Union. Und in der außerparlamentarischen Opposition, in der sich die FDP nach der verkorksten September-Wahl auf Bundesebene wiederfindet, gibt es keine Partner. Es gibt derzeit nur einen Lichtblick für die Liberalen. Der heißt Christian Lindner, 34 Jahre jung, seit Sonnabend Parteivorsitzender und eine anerkannte rhetorische Höchstbegabung. Und so versucht er auch gleich aus der Misere eine Tugend zu machen. Die FDP sei jetzt „so eigenständig und unabhängig wie niemals in ihrer Geschichte zuvor. Das alte Lagerdenken der Bundesrepublik ist seit dem letzten Bundestagswahlkampf Geschichte“, verkündete er den Parteitagsdelegierten. Was nicht einer gewissen Logik entbehrt: Bei der Union gab es nichts mehr zu erben, und auf der anderen Seite sortiert sich das linke Lager für 2017 längst in Richtung Rot-Rot-Grün.

So viel Freiheit bietet natürlich die Chance zum Neuanfang. Und nötig hat ihn nicht nur die FDP. Eine liberale Stimme jenseits der soziale Wohltaten verteilenden und nach Kräften Behaglichkeit ausstrahlenden Volksparteien ist angesichts der heraufziehenden Großen Koalition nötiger denn je. Die Freiheitsrechte der Bürger sind angesichts des NSA-Skandals und allgegenwärtiger tatsächlicher oder vorgeblicher Terrorbekämpfung mehr denn je in Bedrängnis. Die Kultur der Selbstständigkeit ist im Vergleich zu anderen westlichen Nationen in Deutschland nicht überentwickelt. Liberale haben es hierzulande aber immer schwer gehabt, mit ihren Thesen von Freiheit und Verantwortung Gehör zu finden. Der deutschen Wählermehrheit steht traditionell der Sinn eher nach Sicherheit und staatlicher Fürsorge. Wollen Liberale beachtet werden, benötigen sie überzeugende Thesen und einen souveränen Auftritt.

Für beides könnte Lindner sorgen. Allerdings kann ihm das nicht allein gelingen. Und mit Sicherheit wird es ein steiniger Weg zurück in die große Politik – wenn er denn gelingt. Denn die Parteiführung ist zwar ausgewechselt, aber deswegen ist noch längst nicht alles anders. Lindners Stellvertreter Wolfgang Kubicki ist alles andere als ein Neuling in der Partei. Bekannt geworden ist er nicht nur durch rhetorische Spitzen auf die politische Konkurrenz, sondern gern auch gegen die eigenen Parteifreunde. Liberale sind eben auch Individualisten, deren Teamgeist nicht immer für die gesamte Zeit zwischen zwei Parteitagen ausreicht. Dass es der notorische Euro-Kritiker Frank Schäffler nicht in die Parteispitze geschafft hat, mag als Beleg dafür gelten, dass die Partei nicht kurzfristig populären Themen hinterherrennen will. Und dass Lindner mit zwar soliden, aber keineswegs überragenden 79 Prozent ins Amt gewählt wurde, zeigt einerseits, dass er und seine Vorstellungen von der neuen FDP nicht ganz unumstritten sind, andererseits aber auch, dass seine eigenen Leute jetzt keine Wunderdinge von ihm erwarten. Was von Vernunft und Realitätssinn zeugt.

Den verbalen Ankündigungen aus der Stunde null der Partei heraus müssen nun praktische Taten folgen. Erste Gelegenheit für ein Wiederbelebungszeichen bietet die Europawahl im Mai.