Der scheidende Erzbischof Werner Thissen und die Katholiken im Norden

Die schönsten Zufälle schreibt das Leben selbst. Erzbischof Werner Thissen, 75, geht Anfang nächsten Jahres in Pension. Und das Erzbistum Hamburg, 1995 neu gegründet, besteht jetzt 18 Jahre lang – damit ist es praktisch volljährig. Weil die Diözese also erwachsen geworden ist, kann ihr Oberhirte beruhigt von seinem Amt Abschied nehmen, wenn der Papst auch schriftlich seinem Rücktrittsgesuch zustimmt. Was als sicher gilt. Der Geistliche vom Niederrhein jedenfalls hat alles dafür getan, dass die junge Diaspora-Kirche mit ihren 400.000 Mitgliedern auf solidem Fundament steht. Mehr noch: Der volksnahe Erzbischof und bekennende HSV-Fan war und ist ein Glücksfall für den Norden.

Von Anfang an hat es Werner Thissen verstanden, dass zu einem neuen Bistum auch eine große Geschichte gehören muss. Dazu zählt nicht nur das Wirken des Missionars Ansgar aus dem neunten Jahrhundert, der als „Apostel des Nordens“ verehrt wird. Vor allem die Lebensgeschichte und das Schicksal der vier Lübecker Geistlichen, die von den Nazis 1943 in Hamburg mit dem Fallbeil hingerichtet wurden, löste bei Thissen tiefen Respekt aus. Er stellte in Rom den Antrag für die Seligsprechung der drei katholischen Märtyrer. Und vereinbarte mit der evangelischen Kirche ein ehrendes Gedenken für den hingerichteten protestantischen Pastor. Inzwischen sind die drei Katholiken selig gesprochen; sie können deshalb mit kirchlichem Segen in Norddeutschland verehrt werden. Dass der Widerstand der vier Lübecker Märtyrer gegen die Morde der Nazis an Kranken und Behinderten bis heute weitererzählt und gewürdigt wird, darf schon jetzt als eine wichtige historische Erinnerungsleistung des jungen Erzbistums bewertet werden. Diese Geschichte verbindet nicht nur Ost (Mecklenburg) und West (Hamburg, Schleswig-Holstein), sondern mit ökumenischem Potenzial auch Katholiken und Protestanten.

Auf einem weiteren Gebiet hat Thissen wichtige Akzente gesetzt, die eine ideale Ergänzung von Person und Amt belegen. Kontemplation und Aktion stehen bei ihm in einem engen Zusammenhang. Thissen, der das Erzbistum seit 2003 unter dem bischöflichen Motto „In Christus neue Schöpfung“ lenkt, lebt in einer engen Beziehung zu Jesus Christus. Gebete und Meditationen sind für ihn feste Bestandteile im Tagesrhythmus. Aus diesem Glauben schöpft er jene Kraft, die er als fröhlicher Mitarbeiter Gottes bei den Begegnungen mit anderen Menschen und in den klaren, schnörkellosen Predigten ausstrahlt. Weil er mit dem Beten am Ball geblieben ist, kann er mit Enthusiasmus die Aufgaben der Kirche gestalten – als Bischof des Hilfswerkes Misereor genauso wie als Chef des flächenmäßig größten deutschen Bistums.

Auf die Krisen der vergangenen Jahre – Missbrauchsfälle, die Affäre um den Limburger Bischof, aber auch die Schließung von Kirchengebäuden – reagierte das Erzbistum Hamburg unter der Leitung von Werner Thissen nicht mit Wegschauen und Vertuschen, sondern mit medialer Offenheit. Die Zeiten, da sich der Klerus hinter Kirchenmauern versteckte und Kommunikation aus dem Wege ging, sind im Norden vorbei. Stärker als sein Vorgänger, der in diesem Jahr verstorbene Ludwig Averkamp, hat Thissen die Bedeutung der sozialen Kommunikationsmittel erkannt. Mit dieser Strategie hat die katholische Kirche im Norden Glaubwürdigkeit gewonnen.

Gewiss, es gab auch personelle Fehlentscheidungen wie die Priesterweihe eines ehemaligen Protestanten, der nun wieder mit einer Frau zusammenlebt. Aber die strukturell wichtigen Weichen sind gestellt: Es geht um die größeren „Pastoralen Räume“. Das Erzbistum ist erwachsen genug, diese neuen Aufgaben ohne Werner Thissen zu bewältigen. Ein Nachfolger von seinem Format muss allerdings erst noch gefunden werden.