Neue Steuerschätzung zeigt, wie schnell Hamburgs Finanzplanung Makulatur werden kann

Um zu sehen, welche Begehrlichkeiten sprudelnde Steuereinnahmen bei Politikern wecken können, genügt in diesen Tagen der Blick nach Berlin. Die künftigen Koalitionäre von Union und SPD sind eifrig dabei, die prognostizierten Mehreinnahmen auf Bundesebene gleich wieder auszugeben. Einer, der dort mit am Verhandlungstisch sitzt, ist Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz. Doch der Sozialdemokrat fährt zusammen mit dem von ihm geführten Senat in Hamburg einen gänzlich anderen Kurs als die Spitzen einer ziemlich wahrscheinlichen Großen Koalition im Bund. Und das ist gut so.

Es mag ziemlich langweilig wirken, aber die von Anfang an von Scholz und seinen Mitstreitern verkündete strikte Begrenzung des Landeshaushalts auf ein jährliches Ausgabenwachstum um ein Prozent, das unabhängig von der konjunkturellen Entwicklung gilt, zeugt von langem Atem und Solidität. Das ist keine schlechte Grundlage in der Finanzpolitik. Scholz und Finanzsenator Peter Tschentscher wollen antizyklisch daran festhalten. Denn: Auch wenn die jetzt veröffentlichte November-Steuerschätzung die vorherige Prognose leicht nach unten korrigiert, bleiben die Steuereinnahmen doch auf einem hohen, ja auf Rekordniveau.

Ein Wettrennen darum, die qua Verfassung von 2020 an für die Länder greifende Schuldenbremse möglichst schnell zu realisieren – wie es Steuerzahlerbund und Opposition fordern –, ist kaum der richtige Weg. Es ist auch wenig überzeugend, an Tagen von Steuerschätzungen mit günstigen Einnahmeprognosen das hohe Lied der Haushaltskonsolidierung zu singen und bei nächster Gelegenheit den Senat zu kritisieren, weil er zum Beispiel zu wenig in den Erhalt und die Reparatur von Straßen investiert. Die Kritik ist übrigens berechtigt, es müsste noch mehr in die Infrastruktur investiert werden, nur bedarf es dazu des finanziellen Spielraums. Ein übermäßiger Schuldenabbau verbietet sich auch deswegen, weil der SPD-geführte Senat selbst durch seine Politik erhebliche finanzielle Risiken aufgebaut hat.

Dazu zählt das städtische Engagement bei der Traditionsreederei Hapag-Lloyd, deren Zukunft unsicher ist und die erneut ihren Aktionären keine Dividende auszahlen wird. Und die HSH Nordbank, die mehrheitlich den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein gehört, bleibt ein Dauerrisiko von erheblichem, in Wahrheit nicht abschätzbarem Ausmaß. Die im Haushalt vorgesehenen, recht niedrigen Ansätze für Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst mögen eventuell den Wünschen des Senats entsprechen, nicht aber einer realistischen Erwartung.

Schließlich zeigt das für Hamburg ungünstige Ergebnis des Zensus 2011, wie leicht Finanzplanungen durch unbeeinflussbare Ereignisse Makulatur werden können. Das Minus von mehr als 80.000 Einwohnern, das die Volkszählung dem Stadtstaat beschert hat, führt zu einer Nachzahlung in den Länderfinanzausgleich und zu Nachteilen bei der Umsatzsteuerverteilung von zusammen 117 Millionen Euro. Insofern war es richtig, sogenannte Vorsichtsabschläge in die Finanzplanung einzubauen. Der Senat hat zwar Widerspruch gegen die Zensus-Ergebnisse eingelegt; darauf zu setzen, dass es zu einer Korrektur kommt, wäre finanzpolitisch leichtfertig.

So richtig die generellen Linien der Haushaltspolitik des Senats sind, ein großes Manko bleibt: Es fehlt die konkrete Umsetzung der Kürzungen, die vorgenommen werden müssen, um den Ausgabenzuwachs tatsächlich auf ein Prozent zu begrenzen. Das gilt etwa für die Bezirksverwaltung, vor allem nachdem die SPD diesen Bereich beinahe zur Tabuzone in Sachen Sparen erklärt hat. Auch hier gilt: Entweder ausgeben oder kürzen – beides zusammen geht nicht. Da müssen Scholz und die SPD noch liefern, auch wenn das nicht populär ist.