Die vorsichtige iranisch-amerikanische Annäherung ist kein Grund zu voreiliger Kritik

Nach sechzig Jahren strengster Geheimhaltung ist im vergangenen Monat in Washington ein Konvolut an Akten veröffentlicht worden, das nun seiner Auswertung harrt. Sie könnte ein Licht werfen auf einen Vorgang, der bis heute die Beziehungen zwischen den USA und Iran belastet.

Im Juli 1953 hatten US-Präsident Dwight D. Eisenhower und der britische Premier Winston Churchill die gemeinsame „Operation Ajax“ ihrer Geheimdienste CIA und MI6 abgesegnet. Damit sollte der iranische Regierungschef Mohammed Mossadegh gestürzt werden, der den britischen Ölkonzern Anglo-Iranian Oil Company, später BP, verstaatlicht hatte. Der Konzern hatte sich geweigert, den Iranern mehr als 20 Prozent des Gewinns zu überlassen. Am Ende wurde Mossadegh mit amerikanischer Unterstützung von Schah-freundlichen Kräften gestürzt. Jedes Schulkind im Iran kennt diese Geschichte – und sie ist ein Element jenes profunden Misstrauens, das zwischen Teheran und den Hauptstädten der westlichen Welt herrscht. Und es ist keine Überraschung, wenn sich nach dem freundlichen 15-Minuten-Telefonat zwischen US-Präsident Barack Obama und dem relativ neuen iranischen Präsidenten Hassan Ruhani sofort warnende Stimmen erheben.

Ruhani wolle mit dem ersten direkten präsidialen Kontakt seit der Iranischen Revolution 1979 die westliche Führungsmacht in einen trügerischen Optimismus locken, um Zeit zu gewinnen, meinen vor allem Israels Premier Netanjahu und eine Reihe republikanischer Politiker in den USA.

In der Tat kann Obama bislang keine faktischen Fortschritte im Dauerkonflikt mit dem Iran vorweisen. Bislang hält auch Ruhani an der Version fest, das iranische Atomprogramm diene allein friedlichen Zwecken; der Bau der Bombe sei keinesfalls vorgesehen. Zweifel daran sind angebracht; die Mullahs wissen genau, dass eine atomare Bewaffnung sie ebenso unantastbar machen würde wie das nordkoreanische Regime und dass ein solches Arsenal den Iran endgültig zur Vormacht in der mittelöstlichen Region aufwerten würde.

Und Hassan Ruhani ist zwar ein weit umgänglicherer Mann als sein unsäglicher Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad, aber er ist natürlich ebenfalls ein Mann des Systems von Revolutionsführer Ali Chamenei. Doch einerlei, ob Ruhanis Leutseligkeit nun von Herzen kommt oder nicht; die Entwicklung ist um Welten besser als jene der vergangenen zwei Jahre, als jederzeit mit einem israelisch-amerikanischen Militärschlag gegen Irans Atomprogramm und einem Großbrand in der Region zu rechnen war. Die Verbesserung liegt zunächst im Atmosphärischen; doch dies kann der Ausgangspunkt zu einer echten Annäherung sein. Kritik an dem Telefonat ist töricht.

Beide Seiten handeln indes nicht aus einer Position der Stärke heraus. Aufgrund der westlichen Sanktionen ist die iranische Ölproduktion fast um die Hälfte gefallen, die iranische Währung Rial hat zeitweise 80 Prozent ihres Wertes verloren, die Inflation galoppiert, die Preise für Grundnahrungsmittel steigen, manches ist schon knapp. Iran muss die Sanktionen loswerden, sonst drohen weiterer Machtverfall und innenpolitische Revolten.

Obama wiederum muss einen Krieg vermeiden, der sein finanziell und militärisch bereits überdehntes Land über Gebühr belasten würde. Washingtons Handlungsspielraum im Nahen Osten ist bestürzend klein geworden. Auch steht Obamas Renommee als Friedenspolitiker auf dem Spiel. Aber er muss Fortschritte vorweisen – um die Republikaner, aber auch Israels Premier weiter im Zaum halten zu können, der mit militärischen Optionen spielt. Der Iran und die USA gleichen zwei Boxern, die sich weniger aus Zuneigung denn vor Ermattung in die Arme fallen. Besser als nichts – und besser als Krieg allemal.

Der Verfasser ist Chefautor des Abendblatts