Die Kritik nach verlorenen Wahlen klingt wohlfeil. Zuvor haben die meisten geschwiegen

Was waren das für schöne Bilder vom Grünen-Parteitag im April des Jahres, als sich die Partei einen kräftigen Ruck gab – und nach links abdriftete. Ohne Gegenstimme nahmen die rund 800 Delegierten das Steuererhöhungsprogramm an namens „Zeit für die grüne Wende“. Der harmonische Parteitag gipfelte in dem Ausruf: „Es begann mit Sonnenschein, endet mit Sonnenschein, ein gutes Omen.“ Wie man sich doch irren kann. Inzwischen hat ein Sturm der Entrüstung fast die gesamte Grünen-Spitze weggefegt. Die grüne Wende fiel anders aus als gedacht.

Um nicht missverstanden zu werden: Diese Rücktritte sind konsequent. Wer für ein ganzes Land Verantwortung übernehmen will, kann die eigene für schlechte Wahlergebnisse nicht leugnen. Das grüne 8,4-Prozent-Desaster ist nicht nur ein Denkzettel, es ist auch ein Strafmandat: Fraktionschef Jürgen Trittin hat den Wahlkampf verbockt, und die Parteivorsitzende Claudia Roth wie Fraktionschefin Renate Künast erweckten zuletzt den Eindruck, ihre eigene Person sei die Hauptprogrammatik der Grünen.

Und doch hat die grassierende Rücktritteritis, die zugleich auch die FDP und die Piraten befallen hat, einen schalen Beigeschmack. Denn die Personaldebatte dahinter nimmt bizarre Züge an und klingt wohlfeil.

Plötzlich schwingen die Kritiker des grünen Linksrucks, die einst vornehm schwiegen, nun das große Wort und fühlen sich bestätigt. Bei Joschka Fischer, dem Besserwisser in Person, überrascht ein solches Scherbengericht wenig. Bei Kritikern wie Parteichef Cem Özdemir oder dem schleswig-holsteinischen Umweltminister Robert Habeck sehr wohl. Letzterer sagte nun im Spiegel-Interview, man tue gut daran, an allem und jedem zu zweifeln. Immerhin gesteht er den Fehler ein, beim harmonietrunkenen Parteitag nicht Nein zu den Steuerplänen gesagt zu haben.

Damit trifft er den Kern des Problems: Damals gab es nicht eine Gegenstimme, nur Geschlossenheit. Die paar Kritiker aus Baden-Württemberg ließen sich rasch einfangen. Heute hört man in dem Chor der Gegenstimmen niemanden mehr, der das Programm von einst verteidigt. Vom Hosianna bis zum „Kreuzigt ihn“ dauert es nicht lang. Das musste auch FDP-Chef Philipp Rösler am eigenen Leib erfahren: Der Wahlerfolg hat viele Väter, der Misserfolg sucht sich einen Schuldigen.

Statt hinterher abzurechnen, sollte man besser vorher rechnen. Doch es mangelt in den Parteien am Mut zum Widerspruch, an der Lust zum Querdenken, an der Freude zum Streit. Gerade im Wahljahr sinkt die Bereitschaft zur Diskussion dramatisch. Diese Angst vor der Auseinandersetzung ist zunächst dem Wähler geschuldet, der oft allergisch auf Zwist reagiert. Sie wird verstärkt durch Medien, die Debatten auf persönliche Scharmützel verkürzen und Kritik am Programm zur Kritik an der Person umdeuten. Die Paranoia vieler Politiker geht so weit, dass Kritik gleich als Rebellion wahrgenommen wird.

Das alles zwingt Querdenker auf Kuschelkurs, schleift jede Kante ab, produziert Worthülsen, wo doch Debatten nötig wären. Und diese Angst vor Auseinandersetzung macht innerparteiliche Kritiker schnell mundtot. Oftmals gilt: Wer etwas werden will in der Partei, nickt lieber zunächst freundlich ab und tritt erst im rechten Moment nach. Dieses Verhalten beschränkt sich nicht auf die Grünen, sondern ist eine Konstante der parlamentarischen Parteiendemokratie.

Nur: Heldentum nach Ladenschluss hilft den Parteien kaum weiter, gefragt ist Courage zur rechten Zeit. Sie hätte Grünen wie Liberalen geholfen, ihren falschen Kurs rechtzeitig zu korrigieren.