Der Umgang mit Flüchtlingen sagt viel über die Werte einer Gesellschaft aus

Seit fast vier Monaten bietet die Kirchengemeinde St. Pauli 80 Flüchtlingen aus Libyen Unterschlupf. Jeden Abend füllt sich der Saal der Kirche. Später breiten die Männer ihre dünnen Matratzen auf dem Dielenboden aus und „gehen zu Bett“.

Formal gesehen leben die afrikanischen Flüchtlinge illegal in Hamburg. Was sich in der St. Pauli Kirche abspielt, ist daher in unserem durch Gesetze bis ins Kleinste geregelte Land ungewöhnlich. Eine Kirchengemeinde ignoriert die Rechtslage, bietet dem Staat die Stirn, nennt es Zivilcourage - und hat damit Erfolg.

Bürger, vornehmlich aus dem Stadtteil, helfen freiwillig und ehrenamtlich den Flüchtlingen. Sie kommen allmorgendlich und bereiten Frühstück. Sie holen regelmäßig die Wäsche der Flüchtlinge ab und waschen sie. Sie stehen Nacht für Nacht Wache und sorgen für Sicherheit.

Der Umgang mit Menschen, die auf der Flucht sind, sagt viel über die inneren Werte einer Gesellschaft aus. Die alltägliche Hilfsbereitschaft, die Hamburgerinnen und Hamburger in der St.-Pauli-Kirche zeigen, spricht für Hamburg, für die sprichwörtliche Weltoffenheit seiner Bürger.

Und doch bleibt der Umgang mit Flüchtlingen ein Balanceakt. Behörden müssen sich ans Recht halten, auch wenn sie - wie im Falle der Kirche - offenbar vorübergehend ein Auge zudrücken. Die Unterstützer der Flüchtlinge sind gefordert, auf Maximalforderungen zu verzichten.

Die Aufnahme von zusätzlichen Flüchtlingen und Asylbewerbern wirft aber auch die Frage auf, ob wir uns das finanziell leisten können. So wird die Schaffung von weiteren 1900 Plätzen für Asylbewerber die Hansestadt bis Ende kommenden Jahres rund 46 Millionen Euro kosten.

Es gibt sicherlich eine Mehrheit in dieser Stadt, die Hamburg für wohlhabend genug hält, weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Zur Wahrheit gehört dann aber auch zu sagen, wo auf zusätzliche Ausgaben verzichtet oder wo gekürzt werden kann, denn Solidarität ist immer konkret.

Das gilt ebenso, wenn es um die Suche nach geeigneten Orten geht, an denen die Flüchtlinge, wenn auch nur vorübergehend, leben können. Als die Stadt auf dem Gelände eines ehemaligen Recyclinghofs in Lokstedt eine Flüchtlingsunterkunft bauen wollte, regte sich in der Nachbarschaft erheblicher Widerstand.

Die nun gefundene Lösung, Flüchtlinge unweit von Hagenbecks Tierpark in Containern auf einem Park-and-Ride-Parkplatz unterzubringen, ist fragwürdig. Sie wirft zudem die Frage auf, warum die Stadt nicht eine ausreichende Zahl an menschenwürdigen Flüchtlingsunterkünften vorhalten kann. Es soll an dieser Stelle nicht dem lockeren Umgang mit Geld das Wort geredet werden. Aber die aktuelle Situation ist für alle Beteiligten unglücklich.

Dabei ist in Hamburg - anders als in anderen Städten - unter den Bürgern die Bereitschaft zur Solidarität besonders ausgeprägt. Die Situation in der St.-Pauli-Kirche belegt das genauso wie die Hilfswelle, die inzwischen in Lokstedt zu beobachten ist.

Die Verwaltung der Stadt muss jetzt möglichst rasch für alle Flüchtlinge eine angemessene Unterkunft schaffen - und zwar so, dass einzelne Stadtteile nicht überfordert werden. Rund 70 Millionen Euro stehen dafür zur Verfügung. Das ist viel Geld, mit dem sich einiges bewegen lässt.

Was die 80 Flüchtlinge in der St.-Pauli-Kirche angeht, war der gestrige Besuch von Markus Löning, dem Beauftragten für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe der Bundesregierung, ein gutes Zeichen. Spätestens nach der Bundestagswahl in einer Woche sollten alle Beteiligten sich an einen Tisch setzen und eine pragmatische Lösung finden.