Militär kann gespaltene Gesellschaft nicht versöhnen

Ägypten war schon vor der Absetzung Präsident Mursis durch das Militär ein tief gespaltenes Land. Der Aufruf des Armeechefs Abdel Fattah al-Sisi, das Volk möge mit Großdemonstrationen gegen „Terrorismus und Gewalt“ den uniformierten Machthabern Legitimität verleihen und die Verhängung der Untersuchungshaft gegen Mursi haben die Lage weiter verschärft. Das Land nähert sich bedrohlich einem Bürgerkrieg.

Für eine Entwicklung in Richtung Demokratie hätte es eines Versuchs des Ausgleichs bedurft. Bei den Generälen reichte es aber nur bis zu einem Ultimatum: Gebt euch binnen 48 Stunden versöhnlich – oder wir ziehen noch ganz andere Saiten auf. Wichtiger als gesellschaftlicher Ausgleich – auch wenn der mit den Muslimbrüdern derzeit nicht leicht zu erreichen ist – ist der ägyptischen Armee die Sicherung ihrer Privilegien.

Die Muslimbrüder werden das nicht akzeptieren und nicht klein beigeben. Und kein ziviler Politiker ist in Sicht, der den Einfluss und das Charisma hätte, die Lage zu beruhigen. Dem bevölkerungsreichsten und wichtigsten arabischen Land droht ein ähnliches Schicksal wie Algerien, wo zu Beginn der 90er-Jahre das Militär aus Angst vor einem Wahlsieg der Islamisten die Macht übernahm. Es folgten ein Bürgerkrieg mit Zehntausenden Toten, der in manchen Regionen heute noch anhält und eine mühsame Befriedung dank wirtschaftlicher und politischer Reformen.

Nicht viel besser stellt sich die Lage in Tunesien, dem Ursprungsland des arabischen Frühlings, dar. Wieder ist ein Oppositionspolitiker von Islamisten ermordet worden, und das Volk wird immer unzufriedener mit der Regierung, die den Reformprozess weder schützen noch fortsetzen kann. Ganz zu schweigen von Syrien, das gänzlich in Krieg und Chaos versunken ist. Die gesamte Region droht, auf absehbare Zeit nicht zur Ruhe zu kommen und zum Tummelplatz islamistischer Extremisten und zur Bühne für Militärdiktatoren zu werden. Keine beruhigenden Aussichten für das benachbarte Europa und den Rest der Welt – dem zur Verbesserung der Situation bisher allerdings auch herzlich wenig einfällt.