Ein Auftrittsverbot für Littmann wäre beschämend

"Ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen", ist ein dem französischen Philosophen Voltaire (1694-1778) zugeschriebenes Zitat, dem sich wohl auch das Gros der Rote-Flora-Aktivisten anschließen würde. Jedenfalls theoretisch, denn wie schnell es mit dem Ruf nach Gedanken- und Redefreiheit im Kulturzentrum an der Schanze vorbei sein kann, zeigt der aktuelle Fall Corny Littmann. Der Theatermacher soll dort am 24. April während der Anti-Vattenfall-Lesetage "Lesen ohne Atomstrom" an einem Abend in Erinnerung an den Sänger Rio Reiser teilnehmen. Das jedoch wollen die selbst ernannten Kämpfer für soziale Gerechtigkeit nun verhindern. "Keine Bühne für Corny Littmann in der Roten Flora" ist ihre Pressemitteilung überschrieben, die Littmann vorwirft, er trage zur Gentrifizierung des Stadtteils St. Pauli bei und sei deshalb unerwünscht. Von "Klüngeleien" ist da die Rede, von "Vertreibungspolitik" gar. Deshalb, so der Duktus der 14-zeiligen Mitteilung, müsse man seine Teilnahme unterbinden und ein Auftrittsverbot erteilen.

Nicht nur Littmann fühlt sich da an dunkle Zeiten der Geschichte erinnert, als die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden darin bestand, sie mundtot zu machen. Womöglich tagt das Plenum der Roten Flora demnächst noch einmal, um den "Fall" erneut zu beraten. Das soll die Gemüter beruhigen, ist aber nur eine weitere Anmaßung.

Der eigentliche Skandal jedoch besteht darin, dass die Organisatoren von "Lesen ohne Atomstrom" sich nicht etwa vor Corny Littmann stellen und diesen Zensur-Versuch mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Stattdessen wird allen Ernstes überlegt, die Veranstaltung dann eben ohne ihn durchzuführen. Wer sich auf diese Weise vor den Karren einer kleinen Gruppierung spannen lässt und die Freiheit der Kunst ohne Gegenwehr preisgibt, darf sich nicht wundern, wenn darüber die gesamte - programmatisch eigentlich hervorragende - Reihe ins Abseits gerät. Einen Voltaire-Text, so viel ist sicher, kann hier niemand vorlesen, ohne schamrot zu werden.