Der ZDF-Dreiteiler “Unsere Mütter, unsere Väter“ bringt Kriegsschicksale wirklich nahe

Es ist ein Wagnis, Kriegsgeschehen so ungeschönt ins Primetime-Programm zu heben. Aber es scheint sich zu lohnen. 7,2 Millionen Zuschauer, davon drei Viertel unter 50 Jahre alt, haben Teil eins von "Unsere Mütter, unsere Väter" im ZDF gesehen und erstaunliche sechs Millionen auch die Begleitdokumentation. Offenkundig gibt es Lücken und Fragen, die all die WK-II-Dokus und Spielfilme wie "Dresden" und "Die Flucht" nicht beantworten (wollten).

Die Frage zum Beispiel: Wie sind ganz normale Menschen an der Front zu Mördern geworden? Wie hat der kleine, hässliche Verrat an jüdischen Mitmenschen funktioniert? Welchen Verhaltensspielraum hätten unsere (Groß-)Eltern da gehabt, und warum haben sie ihn oft nicht genutzt? Wie überzeugt waren viele Deutsche wirklich von der eigenen Überlegenheit und Unbesiegbarkeit? Solche Fragen sind allgemein und persönlich zugleich, sie lassen sich eben nicht aus der Distanz von Dokumentaristen beantworten, die Originalfilmmaterial aneinanderschneiden. Die fünf Hauptrollen in "Unsere Mütter, unsere Väter" beruhen auf den authentischen Erfahrungen von fünf Zeitzeugen, die damals jung waren, unerfahren, hoffnungsvoll, idealistisch, blind. Verführt, auch eigennützig, opportunistisch und mutwillig. Entscheidend ist aber, dass diese Menschen ihre Erlebnisse reflektiert haben und bereit sind, darüber offen zu sprechen.

Daran hat es ja in Deutschland millionenfach gefehlt. Die aus Stalingrad Entkommenen, die Opfer des Bombenkriegs und der Vertreibung, die Vergewaltigten haben nach 1945 nicht über ihre traumatischen Erfahrungen geredet. Die Nutznießer von Zwangsarbeit haben nicht geredet, Angehörige der Rollkommandos von SA und SS erst recht nicht. Auch die Zeugen und Vollstrecker der systematischen Ausgrenzung von Juden haben nicht geredet. Als Nachkriegsgeborener konnte man denken, dass all die Schilder "Juden nicht erwünscht" oder "Nur für Arier" sich selbst aufgestellt hätten, dass die Berufsverbote für jüdische Mediziner sich aus nichts materialisiert und dass jüdische Immobilien wie durch Zauberhand nicht-jüdische Besitzer gefunden hätten.

Aber es ist doch alles in Archiven nachzulesen, werden jetzt viele sagen, und wir haben doch wirklich Gedenkstätten, in denen hervorragende Gedächtnisarbeit geleistet wird. Ja, das stimmt. Aber weil in den Familien so ausdauernd geschwiegen wurde, hat unsere Gedenkkultur für alle, die damals nicht dabei waren, einen Webfehler. Das Nazi-Regime war eine "Zustimmungsdiktatur", sagt die Historikerin Heike Görtemaker: Eine Mehrheit wählte Hitler an die Macht, eine Mehrheit hat noch 1942 seine Politik bejubelt. Ohne persönliche Erzählungen kann man sich nicht erklären, warum. Oder wieso viele jungen Deutsche die NS-Politik "modern" fanden. Ohne Erzählen versteht man nicht, wer eigentlich in all den KZs - Neuengamme, Fuhlsbüttel oder in der Spaldingstraße - gearbeitet hat, wer die Zwangsarbeiter beschäftigte. Das mussten erst frühere Widerständler öffentlich machen oder Schülerinnen und Schüler herausfinden, die sich am "Bertini-Preis" beteiligten. Wir können ohne Erzählen nicht nachvollziehen, wie sich unsere Großeltern und Eltern zwischen Desinformation, Propaganda und Realitätsschocks zurechtfanden. Man kann ihre Ohnmacht und Verwirrung nicht nachvollziehen, erst recht nicht ihre Gefühle der Schuld und der Scham, als alles vorbei war.

Nichts ersetzt das Erzählen. Es geht nicht um Schuldzuweisungen oder Geständnisse - auch dem ZDF-Dreiteiler nicht -, sondern um Erkenntnis. Wo geschwiegen wird, bleiben Traumata. Deshalb ist "Unsere Mütter, unsere Väter" eine große Chance, In der Familie zu fragen und zu erzählen. Viel Zeit bleibt den Zeitzeugen nicht mehr.