USA geschwächt, Uno ratlos, Gegner stur: Die Eskalation im Nahen Osten überfordert alle

Der aktuelle Blick auf den Nahen Osten ist wie eins von vielen Déjà-vus. Dieselbe Ohnmacht angesichts einer Gewaltspirale hat man auch schon beim Gaza-Krieg 2008/2009 gespürt, der bis zu 1500 Menschen das Leben kostete. Man spürt sie heute bei jeder neuen Nachricht über Raketeneinschläge in Israel und in Gaza und über den verlustreichen Bürgerkrieg in Syrien. Die Konfliktparteien im Nahen Osten dreschen seit Jahren aufeinander ein, als seien ihre Feindbilder für ewig in Beton gegossen. Sie scheinen gegen Warnungen vor einem Flächenbrand ebenso resistent zu sein wie gegen neue Friedensinitiativen. Der Uno-Sicherheitsrat zeigt sich machtlos, die USA sind verstrickt in innere Krisen und die Liebesaffären ihrer Top-Generäle. Gerade gestern sollte CIA-Chef Petraeus vor dem Kongress-Untersuchungsausschuss erklären, warum der Anschlag gegen die US-Botschaft im libyschen Bengasi im September nicht verhindert wurde.

Die Gewaltherde im Nahen Osten scheinen selbst die USA zu überfordern, die stärkste Militärmacht der Welt. Besonders beunruhigend ist, dass sich die Lage in der Region zugespitzt hat. Zum einen in Ägypten: Der neue Präsident Mohammed Mursi muss zwar den ägyptisch-israelischen Friedensvertrag von Camp David einhalten; außerdem ist er dringend angewiesen auf die jährliche Militär- und Wirtschaftshilfe aus den USA. Aber Mursi, der Muslimbruder, wurde gewählt, um die arabische Solidarität zu stärken. Er kann nicht die Stillhaltepolitik seines entmachteten Vorgängers Husni Mubarak kopieren, der während des Gazakriegs 2008/2009 die Grenzübergänge zum Sinai geschlossen hielt, selbst Hilfskonvois nicht passieren ließ und die anti-israelischen Proteste in Ägypten niederknüppelte. Mursis bisherige Schritte mögen weitgehend symbolisch wirken - der Ruf nach der Arabischen Liga, nach dem Uno-Sicherheitsrat, die Abberufung des Botschafters aus Israel und die Entsendung des Premierministers nach Gaza. Aber wenn Israel wie angekündigt seine Reservisten mobilisiert, könnten die Beziehungen zu Ägypten endgültig vereisen.

Verändert hat sich auch die Front in Gaza. Längst ist es nicht mehr allein "die" Hamas, die auf Israel schießt und mit den Grad- und Fadschr-Raketen sogar Ziele bei Tel Aviv erreichen kann. Militante Splittergruppen spielen in Gaza ihr eigenes Spielchen, sekundiert von islamistischen Banden, die sich auf dem Sinai versteckt halten. Die Umbrüche in Tunesien, Ägypten und Libyen haben Tausende radikalisierter Kämpfer entlassen. Sie sind eine Bedrohung nicht nur für Israel, sondern auch für die jungen Demokratien der Arabellion.

Nicht zuletzt hat sich auch Israels Ausgangsposition geändert. Als die Hamas nach erbitterten Verhandlungen endlich einem Waffenstillstand zustimmte, ließ die Regierung Ne-tanjahu die Gelegenheit verstreichen. Den einzigen Palästinenserführer, der zu einem Friedensvertrag bereit ist - Fatah-Chef Mahmud Abbas -, hat Israel links liegen lassen und seine Position durch illegale Siedlungen im Westjordanland geschwächt. Offenbar setzen Regierung und Militär in Israel derzeit allein auf militärische "Lösungen" - gegenüber Gaza, Syrien, Iran. Israel gegen den Rest von Nahost?

Es sagt sich aus dem friedlichen Deutschland leicht dahin, aber es ist eine geschichtliche Wahrheit: Ein System von kleinen und kurzfristigen Waffenruhen, persönlichen Kontakten und geduldiger Diplomatie kann zu einem nachhaltigen Frieden selbst unter Todfeinden führen. Das ist nicht nur in Südafrika und Nordirland gelungen, sondern hat zwischen den Gegnern des Kalten Kriegs sogar einige Male einen dritten Weltkrieg verhindert.

Die Lage im Nahen Osten erfordert jetzt einen ähnlichen Kraftakt. Der Primat der Waffen muss endlich gebrochen werden.