Die Nacht der Kirchen nutzt ein ungewöhnliches Phänomen

Es ist ein Phänomen: Ob die Nacht der Theater, die Nacht des Wissens, die Nacht der Museen oder, wie am zurückliegenden Wochenende, die Nacht der Kirche - die Hamburger kommen in Massen. Mehrere Zehntausende sind es jeweils, die zu einem großen Teil Einrichtungen besuchen, in die sie an nahezu jedem anderen Tag des Jahres viel leichter hineinkommen könnten; an dem sie ein Theaterstück oder ein Kunstwerk ganz in Ruhe genießen könnten, ohne Gedrängel, ohne Wartezeiten.

Doch sie wollen offensichtlich das Gegenteil. Man muss unwillkürlich an die viel zitierte Schwarmintelligenz denken, die Vorstellung von unzähligen Entscheidungen Einzelner, die irgendwie am Ende dennoch zu einer großen und richtigen Entscheidung werden. Wenn es einen Beweis dafür geben müsste, dass es die Masse im wahrsten Wortsinn macht, dann wären die oben erwähnten Nächte so einer. Offenbar wird ein Ereignis, neudeutsch Event genannt, umso bedeutender, je mehr Menschen daran teilnehmen wollen beziehungsweise tatsächlich daran teilnehmen. So ticken wir: Wir reihen uns eher ein in die Schlange vor einem überfüllten Restaurant, als ein leeres Nachbarlokal zu betreten. Nichts ist so groß wie das Vertrauen in die anderen, wenn es von denen nur genügend gibt.

Insofern machen die Lange-Nächte-Organisatoren alles richtig, wenn sie den natürlichen Nachahmungstrieb ihrer Gäste reizen. Die Frage ist nur: Wie können sie die Erfolge des einmaligen Massenansturms für den Alltag nutzen, was kann man von den Nächten lernen? Vielleicht das: Um Menschen für bestimmte Angebote zu begeistern, braucht man eigentlich nur - andere Menschen.

Tatsächlich wird eine volle Kirche noch mehr Gläubige anlocken als eine halb volle, ein ausverkauftes Theater mehr als ein leeres. Nach diesem Prinzip funktionieren in Hamburg einige Einrichtungen, auch jenseits von langen Nächten. Sie eint die Erkenntnis, dass man lange über den Sinn von Massenphänomenen (Stichwort: Schwarmdummheit) diskutieren kann. Nur ignorieren darf man sie nicht.