Antisemitismus-Vorwurf in St. Georg ist nicht haltbar

Der beabsichtigte Sprung von 1400 auf 4100 Euro Kaltmiete im Monat, die der Immobilienmakler und Grundeigentümer Frank Jendrusch für zwei Traditionsgeschäfte in der Langen Reihe angekündigt hat, fällt im Sprachgebrauch wohl unter den Begriff "Wuchermiete". Dass die Bewohner des boomenden Hamburger Viertels St. Georg dagegen aufbegehren und mit offenen Briefen an die soziale Verantwortung des ehrgeizigen Kaufmanns appellieren, ist richtig und wichtig. Denn sollte dieses Beispiel Schule machen, wäre es bald um den Charme dieses besonderen Quartiers geschehen, das in jeder Hinsicht von der Vielfalt lebt.

Jetzt hat der Makler zurückgeschlagen, indem er seinen Gegnern im Bürgerverein vorwirft, antisemitische Propaganda gegen ihn zu betreiben. Doch das ist nicht zu erkennen.

Ob Juden, Muslime oder Christen: Jedes Mitglied einer Religion (der Atheist natürlich auch) hat das Recht, zum eigenen Wohl mit Profit zu wirtschaften. Aber jedes Mitglied einer Religion (und der Atheist selbstverständlich auch) muss sich im Gegenzug Kritik gefallen lassen, wenn er offensichtlich übers Ziel hinausschießt. Deshalb auf antisemitische Beweggründe der Kritiker zu schließen, zeigt auch, wie überstrapaziert dieser Begriff in Deutschland mittlerweile verwendet wird. Der Grund ist wohl, dass der Vorwurf des Antisemitismus gern als Totschlag-Argument genutzt wird, um jemanden, der sich traut, eine unangenehme Wahrheit auszusprechen, mundtot zu machen oder um berechtigte Kritik im Keim zu ersticken. Jendrusch schürt ein unnötiges Feuer, das er mit seiner haltlosen Behauptung selbst entzündet hat.

Der gescholtene Geschäftsmann sollte sich daran erinnern, dass einer der wesentlichen Grundsätze des modernen Dialogs zwischen den Religionen auf "gegenseitiger Bereicherung" beruht. Dieses Wunschdenken ließe sich problemlos auf Geldgeschäfte übertragen, auch und vor allem aufs Immobilienbusiness, in dem es letztlich vor allem um unternehmerischen Geist geht - und manchmal um das Gesicht einer Stadt.