Olympia zeigt: Dem Sportstandort Deutschland fehlt es nicht nur an Geld

Als die deutschen Fußballer 1990 Weltmeister wurden, prophezeite Teamchef Franz Beckenbauer, die Mannschaft werde auf Jahre unschlagbar sein, weil jetzt noch die besten Spieler der DDR dazustießen. Zwei Jahre später kassierten die Dänen im Finale der Europameisterschaft diesen Steilpass. Ähnlich euphorische Rechnungen aus Wendezeiten erwiesen sich auch im olympischen Sport schnell als Makulatur. Das Ergebnis von 1+1, von 102 DDR-Medaillen und 40 BRD-Medaillen 1988 in Seoul war niemals 2, jedenfalls was den Medaillenspiegel bei Olympischen Sommerspielen betrifft, den es offiziell gar nicht gibt. Wenn in einer Woche in London zusammengezählt wird, was zusammengehört, werden von der einstigen Wunschaddition gerade noch 0,28 übrig bleiben. Das wären 40 Plaketten für die 392 Athleten, die unter dem Motto "Wir für Deutschland" nach London gereist sind.

Die Halbzeitbilanz fällt entsprechend durchwachsen aus. Zugespitzt liest sie sich so oder ähnlich: Wo Technik und Tiere im Spiel sind, rudern, radeln und reiten selbst Chinesen und Amerikaner hinter uns her, dort, wo in der Leichtathletik und im Schwimmen vor allem Schnelligkeit und langer Atem zählen, gehören die Deutschen längst nicht mehr zu den G 8.

Die Gründe sind rasch aufgezählt. Das Erbe der Sportgroßmacht DDR wurde leichtfertig zerstört, weil westdeutsche Sportfunktionäre die Erfolge des Ostens in Rechtfertigung ihres eigenen Versagens in den 1990er-Jahren auf Doping reduzierten. Dabei griffen im Westen mit dem Wissen ihrer Verbände und selbst des Staates viele Spitzensportler ebenfalls zu Mastmitteln - nicht mit der Systematik des Ostens, die in dieser Konsequenz nur in Diktaturen möglich war. Basis der DDR-Siege waren jedoch flächendeckende Talentsichtung und spätere -förderung, exzellente Trainer, professionelle Betreuung, eine gesicherte Zukunft für die Athleten und der hohe gesellschaftliche Stellenwert des Sports, weil dieser den Zugang zu Privilegien erleichterte. Bis heute genießt der Spitzensport in der ostdeutschen Bevölkerung eine größere Akzeptanz als in der westdeutschen.

Inzwischen bemüht sich der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), ähnliche Strukturen herzustellen, dem Verband fehlen jedoch jährlich allein fünf bis sechs Millionen Euro, sagt Generaldirektor Michael Vesper, um wenigstens das abgesenkte Niveau zu halten. Die Folge des herrschenden Mangels sind schlecht bezahlte Trainer, sie verdienen im Schnitt 3000 Euro brutto im Monat, und der frühzeitige Verlust vieler Talente, die statt einer Sport- eine berufliche Karriere vorziehen. Bundeswehr und Bundespolizei sind für die weit erfolgreicheren Wintersportler eine Alternative, für die meisten Sommersportler nicht. Die Kapazitäten des Bundesdienstes sind zudem begrenzt. Die Wirtschaft wiederum bietet bislang weder die Absicherung noch in genügender Zahl Arbeitsplätze, die der Sport braucht.

International rüstet der Sport auf. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Mittel, die weltweit in Sportförderung, Know-how und Prämien fließen, fast vervierfacht. Immer öfter müssen deutsche Sportler, die nebenbei studieren oder arbeiten, gegen Vollprofis antreten. Das Ergebnis dieses Ungleichgewichts ist seit acht Tagen in London zu besichtigen.

Hinzu kommt: Hierzulande sind offenbar immer weniger junge Menschen bereit, die Mühen und Opfer eines Lebens als Spitzensportler einzugehen. Der Wille, sich zu quälen, die persönliche Komfortzone zu verlassen, scheint vielen aber auch in anderen Lebensbereichen abhandengekommen zu sein. Das droht mittelfristig die Konkurrenzfähigkeit Deutschlands zu gefährden. Anderswo dagegen herrscht dieser unstillbare Hunger nach eigenem Fortkommen noch. Die Leistungsschau in London wird daher auch zum Gradmesser, wie es künftig um das Made in Germany bestellt sein könnte. Der Grund zur Sorge lässt sich im Medaillenspiegel ablesen.