Israel ist gut beraten, mit Friedensgesten auf den Hass in Ägypten zu reagieren.

Als Zehntausende Ägypter vor sieben Monaten den Tahrir-Platz in Kairo stürmten und das Ende der 32-jährigen Mubarak-Despotie forderten, wandte sich ein Berater des palästinensischen Präsidenten Abbas dringlich an einen hohen israelischen Regierungsbeamten. Er warnte ihn, dass die ägyptische Revolution sich keineswegs in einem Sturz des verhassten Pharao erschöpfen, sondern dass eine neue arabische Welt sich frontal gegen Israel stellen werde, falls es seine Politik in den besetzten Gebieten nicht ändere. Es sei nicht bekannt, ob der israelische Beamte diese prophetische Warnung je an Premier Netanjahu weitergegeben habe, schrieb die israelische Zeitung "Haaretz".

Die Erstürmung der israelischen Botschaft in Kairo durch einen heulenden Mob ist weit mehr als ein monströser Bruch aller diplomatischer Gepflogenheiten. Er ist zunächst einmal Indiz dafür, dass Ägypten nach dem Sturz Mubaraks keineswegs zur Ordnung zurückgekehrt ist. Die mangelnde Sicherung der Botschaft durch ägyptische Kräfte sowie das bedenklich späte Eintreffen der Polizei lassen vermuten, dass die Führung in Kairo, konfrontiert mit wachsender Enttäuschung im Volk, die Krise mit Israel bewusst instrumentalisiert haben könnte, um von eigenem Versagen abzulenken. Die besänftigenden Worte beider Regierungen sind kaum mehr als weiße Salbe: Israel steht vor einer brandgefährlichen Situation; die Vorgänge in Kairo sind eine Flammenschrift an der Wand.

Der Nahost-Friedensprozess ist klinisch tot und droht zu eskalieren; die Uno könnte Ende des Monats gar einen Palästinenserstaat ausrufen; der Atomkonflikt mit dem Iran schwelt; die Freunde Türkei und Ägypten sind zu Feinden geworden - und das Verhältnis zum überlebenswichtigen Verbündeten USA ist stark abgekühlt.

Die Tragik für Israel ist, dass es in dieser brisanten Phase der Neuorientierung einer ganzen Weltregion nicht die ideale Regierung hat. Benjamin Netanjahu hat sich mit seiner Koalition in einer politischen Wagenburg eingeigelt, anstatt die rettende Öffnung zu suchen. Der ehemalige Elitesoldat zeigt nicht immer politischen Instinkt. Er betreibt Außenpolitik unter einem extremen Sicherheitsaspekt.

Dadurch, dass die seit Jahren vorherrschende israelfeindliche Stimmung im ägyptischen Volk sich nun ganz offen Bahn brechen kann, dass sich inzwischen gar mörderische Terrorgruppen in Ägypten tummeln können, wird eine völlige Neustrukturierung der israelischen Sicherheitsstrategie notwendig. Bisherige Rückendeckung wird zur offenen Flanke, wenn nicht gar zur potenziellen Front.

Und die Erklärung des türkischen Premiers Erdogan, er werde Kriegsschiffe die nächste Gaza-Hilfsflottille begleiten lassen, kann als feindseliger Akt gewertet werden. Ein angekündigter Bruch internationalen Rechts ist es obendrein, denn Israel hat das Recht, sein Territorium mit dieser Blockade zu schützen - auch wenn sie in humanitärer Hinsicht sehr umstritten ist.

Ausgerechnet die einzige echte Demokratie in der gesamten Region ist fast völlig isoliert. Gerade in dieser Lage müsste Israels Regierung endlich die Kraft zu beeindruckenden Friedensgesten aufbringen, um den Knoten zu durchschlagen. Bei Weitem am dringlichsten wäre der Rückbau der jüdischen Siedlungen auf palästinensischem Gebiet, zumindest aber ein permanenter Baustopp. Dies würde auch eine Wiederaufnahme des Friedensprozesses ermöglichen. Denn aus diesem Dauerkonflikt saugen alle Feinde Israels - von der Hamas über die Hisbollah, vom Iran bis Syrien - ihren politisch-ideologischen Nektar.

Berechtigte Kritik an Jerusalems Politik bildet vielerorts allerdings nur die Oberfläche der antiisraelischen Welle in der islamischen Welt. Darunter lauern alte Bekannte: militanter Islamismus und Antisemitismus.