Der Spruch des Verfassungsgerichts macht der Kanzlerin das Regieren noch schwerer.

Mit ihrem Urteil zur Euro-Rettung wollen die Verfassungsrichter es allen recht machen. Dennoch ist es klug und ausgewogen, was allein daran abzulesen ist, dass sogar die klagenden Skeptiker des monströsen Euro-Rettungsschirms - wenn auch verhalten - zufrieden sind. Ähnlich ergeht es ihren politischen Kontrahenten, den Befürwortern noch großzügigerer dirigistischer Maßnahmen zur Überwindung des Schuldendilemmas. Auch die glücklos lavierende Kanzlerin konnte gestern nach dem Urteilsspruch ganz kurz aufatmen. Ihre auf die Wirren der Finanzkrise mehr reagierende als agierende Taktik ist zunächst einmal aufgegangen. In dem 54-Seiten-Urteil bescheinigen ihr die obersten Richter, dass sie bisher mit den umfangreichen Finanzhilfen für Griechenland und dem Euro-Paket die Rechte der Parlamentarier nicht verletzt hat.

Dennoch nimmt das Urteil Rücksicht auf die verletzten Seelen derjenigen Abgeordneten, die sich und ihre Stimme übergangen sehen, weil sie am Ende doch nur abnicken können, was die Regierungschefin und ihr Finanzminister mit den europäischen Amtskollegen ausgehandelt haben. Auch sie können sich im Urteil bestätigt sehen. Denn in Zukunft müssen die Finanzhilfen nach den Vorgaben des Verfassungsgerichts Schritt für Schritt vom Haushaltsausschuss bestätigt werden. So steht auf dem Richter-Zeugnis für die Regierung, dass sie sich bislang zwar nichts habe zuschulden kommen lassen, aber ergänzt durch die mahnende Fußnote: Dies ist "keine Blanko-Ermächtigung für weitere Rettungspakete".

Das ungute Gefühl, das Parlament könne vielleicht doch bei der Euro-Rettung übergangen werden, ist vorerst vom Tisch. Das bedeutet aber auch: Der Kanzlerin wird es in Zukunft noch schwerer gemacht. Und das ist gut so. Denn die politischen Antworten auf die besorgniserregenden Fragen der Schuldenkrise sind höchst komplex und passen nicht in alte Schwarz-weiß- oder Links-rechts-Raster der klassischen politischen Lager. Selbst die Experten der Finanzwelt sind bei der Euro-Rettung uneins wie nie. Denn für diese Krise gibt es kein Muster, kein Beispiel, auf das sich die Retter einigen könnten. Selbst wer die gegensätzlichen Argumente genau studiert, etwa das Für und Wider zu Euro-Bonds, bleibt am Ende ratlos zurück. So wie der Finanzmarkt, dessen merkwürdige Reaktionen mehr die Nervosität aller Beteiligten als die Realität in der Wirtschaft spiegeln.

Augenmaß und vorsichtiges Taktieren mit dem Blick auf das Machbare sind da von Vorteil. Zwei politische Charaktereigenschaften, die der Kanzlerin eigentlich vertraut sind. Aber die Ergebnisse ihrer politischen Arbeit muss sie auch mit den besten Argumenten in ihre Partei transportieren. Als Regierungschefin wird sie nur erfolgreich sein, wenn die Abgeordneten der Regierungsparteien sie nach Kräften unterstützen. Dass es an dieser Vertrautheit bis in die letzte Reihe fehlt, belegen Abweichler aus dem eigenen Lager, die gerade erst bei der Probeabstimmung Muskeln gezeigt haben. Diesem Warnschuss muss das Bemühen folgen, warum die Frau an der Spitze diesen und keinen anderen Weg verfolgt. Das ist schwer genug, zumal die Kanzlerin ihre Grundüberzeugungen - siehe Energiewende oder Euro - bei Bedarf außer acht lässt.

Erst wenn diese Überzeugungsarbeit gelingt, kann der nächste - für das politische Überleben der Regierung - weit wichtigere Schritt folgen. Nicht nur die Parlamentarier, deren Karriere vom Erfolg der Koalition abhängt, wollen überzeugt werden und mit Herz und Verstand den Sinn der historisch ungewöhnlichen Maßnahmen nachvollziehen können. Auch die Wähler haben ein ähnliches Bedürfnis. Auf deren - auf unsere - Kosten sind alle Zahlungsversprechen und Bürgschaften ausgestellt, die Kinder und Enkel mit eingeschlossen. Dafür sollte es verdammt gute Gründe geben.