Der Crash an den Börsen wirkt überzogen - noch überzogener aber ist seine Begleitmusik.

So sportlich war die Börse nie - zumindest was die Berichterstattung betrifft. Mit dem Liveticker hält ein Mittel des Sportjournalismus in vielen Wirtschaftsredaktionen Einzug. In einer nie gesehenen Kurzatmigkeit wird jeder Tick des DAX auf Webseiten dargestellt, kommentiert, aufgeblasen. Das ist bequem, weil man jede Kursbewegung aufgeregt hochjazzen und zugleich auf Hintergründe und Analysen verzichten kann - und so die weit verbreitete Lust am Untergang bedient. Schon bevor am Montag der erste Kurs taxiert wurde, hatten unzählige Experten den "Schwarzen Montag" vorhergesagt. Selbst wenn die Live-Kommentatoren mal einen Tag ohne Kurssturz kommentieren müssen, finden sie sicher im Meer der wirtschaftlichen Wasserstandsmeldungen eine Hiobsbotschaft, die unter das Volk gestreut wird. Das Interesse ist überwältigend: Einige Anleger mögen aus dem geteilten Leid Trost ziehen, viele Antikapitalisten treibt eine klammheimliche Freude am Crash.

Die Medien sind aber oft nur die Überbringer der schlechten Nachrichten, die Investoren, Rating-Agenturen, Volkswirte oder Politiker im Akkord produzieren. Überall regiert die Schwarzmalerei. Was etwa den EZB-Präsidenten Trichet bewogen hat, "von der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg" zu sprechen, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Vielleicht wollte er ja auch von seinen Fehlentscheidungen ablenken, für die die Europäische Zentralbank verantwortlich zeichnet: Sie hat in den vergangenen Monaten gleich zweimal den Leitzins erhöht, so als hätte das überschuldete Europa keine anderen Probleme als eine drohende Inflation.

Zugleich streiten die Politiker in der EU lautstark über den richtigen Weg aus der Schuldenkrise, statt gemeinsam ein starkes Signal der Einigkeit an die Märkte zu senden. Natürlich darf man die Probleme nicht kleinreden. Wir leben in einer Welt, in der sich mehrere Unsicherheitsfaktoren addieren: Die Schuldenkrise ist kein auf Südeuropa beschränktes Phänomen mehr, sondern hat ganz Europa, die USA und Japan erfasst.

Zugleich verdüstert sich die konjunkturelle Lage in den Schwellenländern, die zuletzt die Wachstumstreiber der Weltwirtschaft waren. Und die Unruhen in Nordafrika und Europa verunsichern zusätzlich.

Und doch ist eine Weltuntergangsstimmung fehl am Platze. Zwar ist der Kursrückgang an den Weltbörsen zu einem Teil rational, weil sie die neuen Unsicherheiten einpreisen. Zu einem ebenso großen Teil aber ist er irrational, weil automatische Computerprogramme den Ausverkauf beschleunigen. Märkte übertreiben gern - erst nach oben, nun nach unten.

Indes könnte der Crash an den Börsen erst die Krise auslösen, vor der die Anleger sich so fürchten. Der Kursverfall kann eine fatale Wirkung in den Volkswirtschaften entfalten, weil er Vertrauen unterhöhlt und das Gift der Angst sät: Seinetwegen wird weniger konsumiert und investiert, er streut Sand ins Wirtschaftsgetriebe und kann einen Teufelskreis in Gang setzen, der alle zugleich trifft, Anleger wie Antikapitalisten. Der kluge Satz Ludwig Erhards, die Hälfte der Wirtschaft sei Psychologie, gilt noch immer. Vor diesem Hintergrund sind die Horrorszenarien von Trichet & Co. nicht nur überflüssig, sie sind gefährlich. Besser sollte sich die EZB an der US-Notenbank orientieren: Sie hat mit dem Versprechen einer langfristigen Niedrigzinspolitik die Märke beruhigen wollen. Doch wenn alle hysterisch durcheinanderrufen, verpuffen auch diese letzten Mittel.