Anders ist der Flüchtlingsstrom aus Nordafrika nicht zu stoppen.

"Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, gehen wir zu ihr." Mit diesem Ruf beschleunigten zur Jahreswende 1989/90 Demonstranten in der DDR die deutsche Wiedervereinigung. Wie alle Parolen verkürzte auch diese die gesamte Problematik der damaligen Situation - aber sie machte zugleich sehr plastisch deutlich, dass neben der Sehnsucht nach Freiheit und Demokratie auch ganz handfeste materielle Gründe zu politischen Umstürzen führen.

Die Situation im arabischen Raum ist heute eine ähnliche. Die Despoten in Tunis und Kairo mussten weichen, andere zittern gerade um ihre Posten. Zugleich macht der sich wieder verstärkende Flüchtlingsstrom aus Nordafrika schnell und unerbittlich klar, dass die Menschen sich nicht allein mit politischen Reformen begnügen werden. Sie wollen auch ein besseres materielles Leben für sich und ihre Familien. Dieser Wunsch ist verständlich und berechtigt. Nur auf die Schnelle ist er schwer zu erfüllen. Die Option einer Wiedervereinigung gibt es nicht. Angesichts der noch nachwirkenden Krise und der seit Jahren angespannten Situation auf dem Arbeitsmarkt verkraftet Europa auch keine Massenimmigration aus dem Maghreb.

Die Menschen zurückzuschicken und hohe Mauern zu errichten ist aber auch keine Lösung. Zumindest nicht, ohne ihnen Alternativen zu bieten. Dazu bedarf es einiger Risikobereitschaft. Denn Europa muss massiv in eine instabile Region investieren, damit sich auch die politischen Verhältnisse verbessern. Statt wolkiger Großprojekte wie die Mittelmeerunion oder einiger bilateraler Geschäfte, die vor allem die Taschen der Machthaber füllten, sind Schritte gefragt, die breiten Schichten der Bevölkerung zumindest Perspektiven zeigen.

Denn wenn es in Nordafrika nicht auch wirtschaftlich bald und spürbar bergauf geht, wird die Begeisterung für die Demokratie rasch schwinden und der Wanderungsstrom nach Europa weiter anschwellen. Einzelne Staaten, wenn nicht die ganze Region, versinken dann entweder für längere Zeit im Chaos, fallen in die Hände religiöser Fanatiker oder neuer Diktatoren. Das wäre eine politische Niederlage und ein nicht wieder gutzumachender Imageschaden für die westlichen Demokratien, ein immenses Sicherheitsrisiko direkt vor unserer Haustür und auch wirtschaftlich ein Verlustgeschäft. Investitionen lohnen sich also mehr denn je - auch wenn nicht automatisch mit raschen Erfolgen zu rechnen ist.