Die Weihnachtsgeschichte ist nicht romantisch, sie verstört.

Heiligabend werden die Kirchen wieder voll sein: All die Gotteshäuser, in die sich übers Jahr nur wenige Gläubige verirren, werden in dieser heiligen Nacht kaum genug Sitzplätze anbieten können. Natürlich mag bei dem einen die Tradition wichtig, bei dem anderen der Kirchgang ein Zugeständnis an Partner oder Eltern sein - und doch gibt es in diesem Land eine tiefe Sehnsucht nach Mysterium, nach Glauben, nach Haltung, ja, nach Gott.

Zugleich steht zu befürchten, dass schon in wenigen Tagen vieles wieder beim Alten ist: Die Kirchen leer, der Hunger nach Orientierung weiterhin ungestillt. Das ist sicher ein Problem der großen Glaubensgemeinschaften. Große Teile der evangelischen Kirche drohen vor lauter Weltlichkeit den Glauben und die frohe Botschaft aus dem Blick zu verlieren; die Missbrauchsskandale und der mangelnde Reformwillen haben die katholische Kirche bis ins Mark erschüttert. Das Hadern mit dem Bodenpersonal Gottes ist berechtigt, und doch ist es wohlfeil. Denn Glaube und Religiosität sind nicht an Priester und Pastoren gebunden, sondern eine ureigene persönliche Sache. Und so sind die weitverbreitete Kritik an der Kirche und der Verweis auf ihre Unzulänglichkeiten auch eine weitverbreitete Flucht aus der Verantwortung. Es ist immer leichter, Defizite zu beklagen, als aktiv Missstände zu beseitigen. Da ähneln Kirchengemeinden heute Parteien, Verbänden oder Gewerkschaften.

Die Entfremdung der modernen Gesellschaft vom Glauben gründet noch tiefer. Ein wenig erinnert unser Glaube an die Sehnsucht nach Schnee zu Weihnachten. Man wünscht ihn herbei, doch kaum ist er da, wird's unbequem. Das Evangelium, und gerade die Weihnachtsgeschichte nach Lukas, ist das Gegenteil von kitschig, romantisch, schön - es ist revolutionär. Der Gott der Bibel erwählt die Frau eines Zimmermanns zur Mutter Gottes, geboren wird der Heiland in einer Krippe, weil in der Herberge kein Platz war. Da wird der König geboren, doch nicht Präsidenten und Honoratioren stehen an der Krippe, sondern Hirten, Ochs und Esel.

Das Lukas-Evangelium bricht mit jeder Heldengeschichte und läutet eine neue Zeit ein. Die Geburt im Stall kann nicht losgelöst gelesen werden von der Bergpredigt und der Auferstehung. Und deren Botschaft lautet Umkehr, nicht "weiter so". Diese Botschaft ist radikal und verstörend, sie passt auf den ersten Blick so gar nicht in die weihnachtliche Gemütlichkeit. Und kommt so zur rechten Zeit.