Wen man so trifft und was man lernt zwischen Nazareth und Bethlehem, wo auch die heilige Maria und Josef vor 2000 Jahren unterwegs waren.

Einige Wahrheiten sind heiliger als andere, es kommt auf den Standpunkt an. Wer Nazareth südlich betritt, dem versperrt ein Plakat den Blick auf das Kreuz der Verkündungskirche: "Wer sich eine andere Religion als den Islam sucht, gehört im Jenseits zu den Verlierern". Weiter den Berg hinauf, vorbei am Ort, wo die heilige Maria gewohnt haben soll, treffen sich Bewohner auf einem Weihnachtsmarkt. Eine Frau mit Kopftuch nimmt einen Jungen mit Nikolausmütze auf den Schoß. "Love Hurts", singt ein Mädchen auf der Bühne, den Hit der Band, die auch Nazareth heißt. Eine Zeile lautet: "Liebe ist wie eine Wolke mit viel Regen drin". Nazareth ist eine Kleinstadt, die sich auf den Glanz einiger Festtage freut. Juden, Moslems, Christen gemeinsam. Vor 2000 Jahren hat Jesus hier gewohnt, in einer der Hütten aus Stein, das dürfte so weit stimmen. Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas erzählt, dass die schwangere Maria und Josef von hier nach Bethlehem zu einer Volkszählung wanderten. Bethlehem bedeutet "Haus des Brotes". Viele Dörfer hießen so, nicht nur jenes in Judäa bei Jerusalem, das 140 Kilometer entfernt im Süden liegt.

Dem Weg von Maria und Josef zu folgen ist eine Reise mit dem Herzen. Dafür muss man eine eigene Karte zeichnen. Hier lebte der Mann, dessen Geburtstag die Christen jetzt feiern, es ist es immer noch die gleiche Erde, die gleiche Luft, der gleiche Himmel.

Der Geländewagen der Polizei fährt an. Ron ist auf Streife, um Viehdiebe abzuschrecken. "Schwanger von hier bis nach Judäa zu wandern, da habe ich meine Zweifel." Er zeigt auf Plastikplanen, die Ausgrabungen bedecken. Vor einigen Jahren fand man hier kirchliche Ruinen und Öllampen mit Kreuzen darauf, frühchristliche Zeugnisse. Es könnte also sein, dass hier das wahre Bethlehem ist. "Nicht auszudenken, wie viele Besucher dann hierherkommen würden", sagt Ron, während er den Wagen über leere Straßen steuert.

Am Grenzposten zum Westjordanland geht's zu Fuß nicht weiter

Matthäus aber schreibt in seiner Weihnachtsgeschichte, dass Maria und Josef in Bethlehem bei Judäa wohnten und später nach Nazareth zogen. Also, auf nach Süden. Ins besetzte palästinensische Gebiet.

"Zurück", ruft die israelische Grenzerin am Checkpoint Jamale, zu Fuß kommt keiner durch. Autofahrer hatten gehupt und gelacht über die zwei, die wandernd über die Grenze zwischen Israel und dem Westjordanland wollen. Zurück, gut. Ein Taxi hilft. Maria wäre hier heute als Jüdin nicht weitergekommen. Nur mit Passierschein.

Auf der Straße nach Jenin, einer der größten Städte in der Westbank, flimmert die Mittagshitze auf den Autodächern. Rechts und links liegt schmutziger Beton, wie nach einem Krieg. Das Taxi stoppt in der Innenstadt. "Komm schon", sagt der Fahrer, er will 100 Schekel, dann 80, gibt sich mit 70 zufrieden und wirft seine Fahrgäste raus. Draußen lächeln ein Vater und ein Sohn vor ihrem Handkarren, sie schenken Kaffee aus einer zerbeulten Kanne ein. "Welcome to Palestine." Ein Satz, den man oft hört, der ebenso ehrlich gemeint ist, wie die Menschen hier wissen, dass gutes Image ein Weg zur Freiheit sein könnte. "Deutschland ist gut", sagen sie. Der Kaffee ist gratis, es gibt honigtriefendes Gebäck dazu.

Löchrige Straßen führen vorbei an einem Freizeitpark, ein rostendes Riesenrad erinnert an bessere Zeiten. 15 Kilometer weiter durch Samaria, diesen biblischen Landstrich, liegt Zababdeh. Nach unzähligen Moscheen sind wieder Kirchtürme am Horizont zu sehen.

Jesus wird in der 62. Minute eingewechselt. FC Barcelona spielt gegen Espanyol Barcelona. In der 63. fällt das einzige Tor, das Espanyol gegen den Klub mit Weltruhm zustande bringt. Auch Yasser jubelt. "Jesus, Jesus", rufen seine Freunde. Yasser ist 21, Katholik und Palästinenser, er studiert Kommunikationsdesign an der Arabisch-Amerikanischen Universität. Die Söhne des Ortes lieben spanischen Fußball. Der Gedanke, einmal im Stadion dabei zu sein, wirkt in diesem von Wasserpfeifen verrauchten Raum wie ein Traum, den man nicht einmal zu träumen braucht.

Zababdeh hat rund 4000 Einwohner, davon zwei Drittel Christen. Der Ort ist sauber und verträumt. Yassers Familie, die Abdallahs, sind Mitglieder der katholischen Gemeinde. Sie singen auch im Chor. Über dem Sofa im Wohnzimmer hängt ein Bild vom letzten Abendmahl. Die Mutter hat "Roz w Laban" gekocht. Reis, Yoghurt aus Ziegenmilch, Rindfleisch.

Yasser ist auch auf Facebook, sein Status: Single. "Das ist die wichtigste Information auf Facebook", sagt er. In einem halben Jahr ist er mit dem Studium fertig, seine Aussichten auf ein Stipendium und die Erlaubnis zur Ausreise sind gut, besser als für die meisten Palästinenser. Weil er Christ ist? "Wir sind eine Minderheit, da gibt man sich vielleicht mehr Mühe", sagt er. Aber ganz wegzugehen, dafür hänge er zu sehr an seiner Familie. Weihnachten feiern sie gemeinsam, mit einem Grillfest.

Der Hahn kräht. Frisch ist die Morgenluft in Zababdeh. Wenn Maria und Josef tatsächlich draußen geschlafen haben, dann nur mit dicken Wolldecken. Es geht bergauf, vorbei an kleinen Pflanzen wie Tulpenstängel. Nedal Sawalmeh, 46, sagt: "Die Pflanzen senden die Botschaft der Erde. Sie erwartet noch mehr Regen." Dann werde alles blühen. Erst vor einer Woche regnete es drei Tage lang. Im Sommer steigen die Temperaturen auf 40 Grad. Dann wird das Land schwer und unnachgiebig. Man braucht Geduld hier, wie für das Pellen einer Kaktusfeige: Hinter den Stacheln wartet Süßes. Jetzt sind es angenehme 20 Grad. Es ist die Zeit, in der sich dieses Land mit Leben vollsaugt, für das ganze Jahr.

Für erschöpfte Lastesel gibt es seit Kurzem sogar eine Pflegefarm

Nedal Sawalmeh führt Wanderer durch das besetzte Palästina, auf den Spuren von Josef und Maria. Nativity Trail nennt sich die Tour. Kürzlich war ein Dutzend italienischer Rentner hier, die zwar langsam gingen, wie Nadal lachend sagt, aber die 140 Kilometer Weg nach Bethlehem geschafft haben. Nur einmal musste er einen Wagen bestellen, für ein steiles Stück. Maria soll für solche Rampen einen Esel gehabt haben. Wobei man diesen Tieren heute auch nicht mehr alles zumuten darf, unlängst hat in der Nähe eine Pflegefarm für erschöpfte Paarhufer eröffnet.

"Wir Moslems glauben auch an Jesus", sagt Nedal, "wer nicht an Jesus glaubt, ist kein Moslem." Im Koran ist der christliche Heilsbringer einer von vielen Gesandten Gottes. Allerdings bestreitet der Islam, dass Jesus am Kreuz gestorben ist, das hätte Gott nie zugelassen. Stattdessen sei ein anderer getötet worden, der Jesus ähnlich sah.

In dieser Region geht es aber längst nicht nur um Religion. Nedal kämpft gegen die Ungerechtigkeit, wie er sagt, irgendwann möchte er zurück nach Jaffa bei Tel Aviv, dort wurden sein Vater und seine Mutter nach der Gründung Israels vertrieben. Er lächelt viel und möchte nicht bitter wirken.

"HSV", sagt Sulaiman Daraghmeh, er ist Schäfer von 200 Schafen. Stolz steht er auf einem Stein und blickt ins Tal, eine rote Kufiya auf dem Kopf, das Tuch der Palästinenser. Sogar hier kennt man den Hamburger Fußballklub. Der 39-Jährige lebt von dem Verkauf der Schafsmilch und der Jungtiere, so ernährt er seine 15-köpfige Familie. Ob er wisse, dass Christen auch Schafe unter ihren Tannenbaum stellen, um die Gastfreundschaft der Hirten zu preisen? "Wir Palästinenser wissen das und sind stolz auf dieses heilige Land. Und passen darauf auf, für den Islam und die Christen", sagt Sulaiman. Die Juden erwähnt er nicht.

Nablus begrüßt seine Besucher mit einem verrosteten Passagierflugzeug

Ein grünes Tal zwischen braunen Hügeln begrüßt Besucher in Faraa, Wasser aus einem Brunnen lässt Tomaten und Rosmarin wachsen. 6000 Palästinenser leben hier in einer dichten Siedlung aus Beton, seit 1948 als Flüchtlinge. Ein enger Gang führt zu Nedals Wohnung, er empfängt gern Gäste. Männer sitzen in einem Zimmer, ausgelegt mit Teppich und Kissen, Tücher halten die Sonnenstrahlen draußen. Besucherinnen gehen erst in die Küche zu seiner Ehefrau, dann ins Zimmer zu seinen fünf Töchtern. Weil Nedal westliche Gewohnheiten respektiert, dürfen die Gäste aber gemeinsam essen. Männer bekommen die Ehefrau und älteste Tochter jedoch nicht zu Gesicht.

Auf Nedals Laptop meldet sich der Singsang des Muezzin. Eine Gadget von Firefox, das Moslems zum Gebet aufruft und aktuelle Daten anzeigt für den Aufgang und Untergang der Sonne. Zeiten fürs Beten. Morgens um fünf geht es los.

Felsen erheben sich an beiden Seiten, die Sonne sendet erste Strahlen hinein in den Weg, der tief unten die Hügel durchschneidet. Ein Donnern hallt von den Hängen zurück. Irgendwo kreist eine F-16, die Israelis fliegen Manöver mit Kampfjets. Man denkt, dass es gerade keinen weiter entfernten Ort gibt als einen Flughafen mit gestressten Reisenden und ihren Rollkoffern.

Die Zivilisation rückt näher, nach Tälern und Bergen, Aufstiegen und Abstiegen kündigt ein rostendes Passagierflugzeug die 100 000-Einwohner-Stadt Nablus an. Das Flugzeug war der Versuch eines Unternehmers, hier ein lukratives Restaurant aufzubauen. Nablus liegt zwischen den Bergen Garizim und Ebal wie der Nacken zwischen zwei Schultern. Vor mehr als 2000 Jahren hieß Nablus noch Sichem. Im Alten Testament steht, dass Gott hier Abraham erschienen ist. Heute thronen jüdische Siedlungen über arabischen Dörfern, immer wieder kommt es zu Kämpfen. Dieses Land ist getränkt vom Nahost-Konflikt. Und doch ist es gastfreundlich, weit und für viele heilig.

Jungs in Jeans und Kapuzenpullovern kommen von der Schule nach Hause. Nur die Mädchen müssen Schuluniformen tragen. Man sei froh, sagt Nedal, wenn die Jungs überhaupt zur Schule gingen. Für einen wie ihn, dem Bildung so wichtig ist, der selbst gern studiert hätte, ist es eine Qual zu sehen, wenn manche ihre Chance nicht ergreifen.

Bethlehem wirkt aufgeräumt wie eine deutsche Kleinstadt

Zu Fuß sind es noch 82 Kilometer bis Bethlehem, etwa fünf Tage. Mit dem Auto sind es eineinhalb Stunden, vorbei an brennenden Reifen, Autowracks und in aberwitzigen Hügellagen betonierten Kleinstädten. Dann erstreckt sich im gleißenden Licht Bethlehem. Das Bethlehem. Unvermittelt ist man in der Stadt, in der Jesus geboren worden sein soll. Nach diesem Trip wirkt es hier, mit unzähligen Weihnachtslichtern, aufgeräumt wie in einer deutschen Kleinstadt. Souvenirshops verkaufen vor der Geburtskirche Krippen und fluoreszierende Christkinder. "Letztes Jahr war mehr los", sagt Tawfic Lama, arabischer Besitzer eines Geschäfts für Kaffee und Gewürze. "Diesen Satz sagst du jedes Jahr", antwortet ein Kunde.

Inzwischen ist es dunkel geworden, und die Sterne über Bethlehem leuchten wirklich. So viel steht fest.