Volksabstimmungen bringen die Demokratie nicht immer voran.

In der Theorie klingen die Argumente einleuchtend: Die direkte Demokratie, die Bürgern auch abseits der Parlamentswahlen die Entscheidung über wichtige Fragen ermöglicht, bringt ein Land voran - die Menschen werden intensiver an politischen Prozessen beteiligt, Diskussionen offener und genauer geführt, die Politik aus den Hinterzimmern zurück auf die Marktplätze geholt.

Den Praxistest erleben die Hamburger derzeit überall in der Stadt - auf Plakatwänden, Flugblättern oder Demonstrationen. Und dieser Test ist ernüchternd. Weder trägt die direkte Demokratie zur Vertiefung der Debatte bei noch zur Verbesserung der Politik. Vielmehr schlägt die Stunde der Vereinfacher und Zuspitzer, der Egoisten und Populisten. Besonders eklatant fallen die Defizite der direkten Demokratie auf Bezirksebene aus. Die Bürgerbegehren und -entscheide der vergangenen Monate gestalten nicht, sie verhindern nur. In Iserbrook stimmen die Bürger gegen den Bau dringend benötigter Genossenschaftswohnungen, in Niendorf verhindert schon eine Initiative den Bau des "Hauses des Waldes". Und an der Hoheluftchaussee kämpft eine Gruppe ihren bizarren Kampf gegen einen Büroneubau. Alle suggerieren, uneigennützige Kämpfer für Mensch und Natur zu sein - doch nicht selten drängt sich der Eindruck auf, den Initiatoren gehe es zuvorderst um ihr eigenes Interesse nach Ruhe und Gemütlichkeit.

Genau hier liegt der Knackpunkt: Denn während die politisch Regierenden im Gesamtkontext entscheiden und dafür politisch haften müssen, lassen die Bürgerinitiativen nur über Einzelpunkte abstimmen. Die Übernahme von Verantwortung, das Allgemeinwohl, der Mut zu nachhaltigen Entscheidungen treten vor dem kurzfristigen Interesse einer wortmächtigen Interessengruppe zurück.

Auch auf Landesebene wachsen die Zweifel, der Volksentscheid zur Primarschule könne der Hansestadt endlich Schulfrieden schenken. Selten standen sich zwei Interessengruppen unversöhnlicher gegenüber, verkürzten ihre Argumente auf Parolen und diskreditierten den politischen Gegner. Zweifelsohne geht es um eine wichtige Grundsatzentscheidung. Aber lassen sich wirklich alle komplexen Fragen mit Ja oder Nein beantworten? Auch wer die Primarschule ablehnt, darf am Sinn der Volks- und Bürgerentscheide zweifeln. Denn sie hemmen Politik, verteuern das Regieren, verzögern Entscheidungen und schwächen so das gesamte politische System der Parteien. Es ist gut möglich, dass die schwarz-grüne Koalition, die Volksentscheide erst verbindlich gemacht hat, nach dem 18. Juli genauso denkt.