Wahlen werden immer komplizierter, aber nicht demokratischer.

Seit Jahren beklagen Politiker sinkende Wahlbeteiligung, sprechen von Wahlmüdigkeit und Politikverdruss. Sie geloben, alles dafür zu tun, sich den Menschen und deren Nöten wieder anzunähern, um sie mehr an den Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Doch die Erfolge bleiben bisher aus.

Nun gibt es für Wahlzurückhaltung bereits viele Erklärungen: Die Regierung war bisher einfach gut, oder das Wetter war es, und die Stimmberechtigten hatten anderes vor. Nichts deutet auf einen Wechsel hin, sodass keine besondere Motivationslage herrschte. Meinungsforscher glauben auch, dass sich viele Menschen aus Enttäuschung über gebrochene Versprechen von der Politik abwenden.

Die Wiederzuwendung wird ihnen allerdings auch durch immer kompliziertere Wahlverfahren schwer gemacht. Der einfache Wahlzettel ist in manchen Bundesländern zur veritablen Papiertischdecke mutiert. In Hamburg ähneln die Wahlunterlagen mittlerweile einer Steuererklärung, in Bremen waren es am Sonntag ganze Hefte. Vom typisch deutschen Wahn nach Perfektion angetrieben, entwickeln Theoretiker immer undurchsichtigere Verfahren, mit denen sich der Bürgerwille nun aber ganz genau und unglaublich differenziert in Mandaten niederschlagen soll. Politiker nehmen das dankbar auf, weil ein komplizierter Wahlzettel wesentlich einfacher herzustellen ist als die versprochene Bürgernähe. Die ellenlangen Wahllisten und die Möglichkeit, insgesamt 20 Stimmen zu vergeben, haben in Hamburg unter anderem dazu geführt, dass manche ihre Kreuze einfach hinter Namen gemacht haben, die sie eben kannten - völlig unabhängig von bisherigen Leistungen oder Qualifikationen. Das ist garantiert nicht demokratischer, als eine Partei anzukreuzen.

Auch in Bremen ist das Ergebnis so, wie es alle Institute vorhergesagt haben und wie es wohl auch mit einem einfacheren Verfahren eingetreten wäre. Und obwohl die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre den Kreis der Berechtigten erweitert hat, sind weniger Menschen in die Wahllokale gegangen: nur etwas mehr als die Hälfte der etwa 500 000 Wahlbürger. Bis das Ergebnis amtlich feststeht, dauert es so lange wie sonst nur in Kriegs- und Krisenregionen.

Kein Wunder, dass immer mehr Menschen andere Wege der politischen Partizipation wählen, in Bürgerinitiativen oder einfach per Demonstration. Oder einfach fernbleiben. Auch für das Wahlrecht gilt: Manchmal ist weniger mehr. Und Bürgernähe ist durch nichts zu ersetzen.