Beim Eurovision Song Contest zeigt sich neuer deutscher Stil.

Falls Sie es noch nicht mitbekommen haben: Wir sind wieder wer. Militärisch zum Glück noch nicht, wirtschaftlich schon seit Längerem, neuerdings aber auch in Lebensbereichen, die bislang nicht eben als deutsche Domäne galten. Vor fünf Jahren zeigten wir der Welt, dass wir zu feiern verstehen, gastfreundlich sind, fußballerischen Jugendstil wagen und darüber hinaus faire Verlierer sein können. Wir nannten es unser Sommermärchen. Am Sonnabend zeigten wir Europa nun, dass wir es auch in Geschmacksfragen erstaunlich weit gebracht haben. In schon fast beängstigender Formvollendung bescherten uns Lena & Co. bereits das zweite Frühlingsmärchen innerhalb eines Jahres.

Zunächst Lena. Allein schon, wie sie im vergangenen Mai unbekümmert und geradeaus die Grand-Prix-Völker verzauberte, hat das Bild deutscher Frauen in der Nachbarswelt vermutlich nachhaltiger verändert als alle Werbeplakate mit Claudia Schiffer und Heidi Klum zusammen. Ihr jüngster Auftritt aber war ihr Meisterinnenstück. Keine leichte Situation: Merklicher Lena-Überdruss in den Medien, sie selbst von Platz eins kommend, Erwartungsdruck vor Heimkulisse, sie konnte eigentlich nur verlieren. Und dann diese Performance. Ein komplexer Song, eher eigenwillig als eingängig, keinerlei Schielen auf Erfolgsmaschen. Reduzierte Wahl der Mittel, Schwarz-Silber-Optik. Dazu dieser neue, extrem selbstbewusste Sex-Appeal der 19-Jährigen, vielsagend, jenseits aller Schubladen und damit in schillerndem Kontrast zu einer Vielzahl der restlichen Beiträge. Anmaßend könnte man sagen: viel zu modern, um hier gewinnen zu können.

Aber darum ging es ihr an diesem Abend auch gar nicht. Lenas Beitrag war vor allem ein geschmackliches Statement, es zeugte von einem neuen Unterhaltungs-Modernismus in diesem Lande und ergänzte sich darin perfekt mit der Präsentation des Wettbewerbs. Anke Engelke zeigte, dass deutsche Frauen nicht nur witzig sein und gestellte Szenen spontan darstellen, sondern auch akzentfreies Englisch sprechen können. Hamburgs "Tagesschau"-Moderatorin Judith Rakers bewies, dass sie auch für Unterhaltungsformate eine Idealbesetzung ist. Und der Eppendorfer Jung Jan Delay trug nicht nur den bestsitzenden Anzug des Abends, sondern übertrug auch am meisten Soul. Zugegeben, es war nur eine TV-Show. Aber eine, nach der typisch deutsch für Millionen Europäer nicht mehr ist, was es war. Niemand muss mehr an unserem Wesen genesen. Wir können ja so leicht sein.