Berlin. Müssen auf den Datenskandal bei Facebook Regulierungen folgen? Ja, so der Experte Dirk Helbing. Er fordert eine neue „digitale Kultur“.

Nach dem Missbrauch der Daten von mehr als 50 Millionen Facebook-Nutzern schlägt dem sozialen Netzwerk weiter Kritik entgegen. „Wir bestehen auf Aufklärung“, sagte Justizministerin Katerina Barley (SPD). Und warnte: „Hier geht es wirklich um eine Bedrohung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.“

Politiker von SPD und Grünen sehen Regelungsbedarf beim sogenannten Microtargeting – einer Methode, bei der mit Hilfe von Algorithmen gezielt Werbung ausgespielt werden kann. Microtargeting setzten auch die deutschen Parteien im Wahlkampf ein.

Ein Experte auf dem Gebiet ist Professor Dirk Helbing. Er ist Mitglied im Schweizer Komitee zur Zukunft der Datensicherheit und lehrt IT-Technologie an der renommierten ETH Zürich. Helbing verknüpft in seinen Studien seit Jahren die Sozialwissenschaft mit der Informatik.

Gemeinsam mit dem Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Gerd Gigerenzer, hat er ein „digitales Manifest“ veröffentlicht, in dem die Forscher vor zentralistischen Ansätzen in der Digitalisierung warnen. Im Interview spricht er über Facebook, die Gefahr von maßgeschneiderten Botschaften und wie er sich ein besseres Internet vorstellt.

Wird der Datenskandal bei Facebook etwas ändern?

Dirk Helbing: Ich hoffe, schon. Denn wir sehen hier nur die Spitze des Eisbergs. Facebook hält dabei als Sündenbock für ein Problem her, das die gesamte Branche betrifft. Wir können das Internet nicht mehr benutzen, ohne dass mitgeschrieben wird, was wir tun, etwa von Cookies. Mit Laptops und Smartphones sind wir zu wandelnden Sensorplattformen geworden, die irrsinnige Mengen an Daten erfassen und auch an europäische Firmen liefern, die kaum einer kennt.

Unternehmen wie Visual DNA, Ubermetrics, Ströer, Brandwatch, Digimind oder Vico Analytics haben zumindest theoretisch die Möglichkeit, detaillierte psychologische Profile über uns Nutzer zu erstellen. Es wäre daher zu einfach, die Debatte auf US-Unternehmen wie Facebook und Google zu beschränken.

Die Daten von rund 50 Millionen Nutzern ohne ihr Wissen für politische Zwecke einzusetzen, ist aber doch keine Nebensächlichkeit?

Professor Dirk Helbing lehrt Computational Social Science an der ETH Zürich.
Professor Dirk Helbing lehrt Computational Social Science an der ETH Zürich. © ETH Zürich / Giulia Marthaler | ETH Zürich / Giulia Marthaler

Helbing: Nein, das ist eine ernste Sache. Der ehemalige Google-Mitarbeiter Tristan Harris, der heute das Center for Humane Technology leitet, berichtete kürzlich, wie eine Handvoll IT-Unternehmen täglich Milliarden von Menschen bei ihren Entscheidungen lenkt. Zu einfach ist es auch, die obskure Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica für den Wahlerfolg von Donald Trump verantwortlich zu machen. Schon Obama hat während seiner Wahlkämpfe Big-Data-Methoden eingesetzt, um unentschlossene Wähler zu identifizieren und zu beeinflussen.

Gezielte Werbebotschaften sind in Wahlkämpfen längst etabliert. Auch das Lager von Hillary Clinton hat damit gearbeitet. Das Beispiel des Datenmissbrauchs bei Facebook führt sehr anschaulich vor Augen, dass wir längst die Kontrolle über unsere persönlichen Daten verloren haben und wir daher Gefahr laufen, Manipulationen zum Opfer zu fallen.

Ist das wiederum nicht etwas einfach: Eine gezielte Werbebotschaft an einen unentschlossenen Wähler drängt ihn in die eine oder andere Richtung? Wirklich?

Helbing: Um mal im Bild der deutschen Politik zu bleiben: Natürlich können Sie keinen CDU-Wähler mit einer einzigen personalisierten Anzeige dazu bringen, die Linkspartei zu wählen. Das gibt die Technologie nicht her. Aber sowohl bei der US-Wahl also auch beim Brexit-Referendum sahen wir zunächst eine Spaltung der Gesellschaft durch einen polarisierenden Wahlkampf. Personalisierte Anzeigen und Suchergebnisse können, das weiß man von wissenschaftlichen Experimenten, einige Prozent der Wählerstimmen verschieben. Das kann dann den Ausschlag geben, um an die Macht zu kommen.

Was halten Sie von Forderungen, wie sie der Grünen-Politiker Dieter Janecek hat, nach einer staatlichen Regulierung der Facebook-Algorithmen?

Helbing: Ohne klare gesetzliche Regulierungen und eine neue digitale Kultur wird sich die Lage nicht verbessern. „Code is Law“ (Anm. d. Red.: ein Zitat von Computerwissenschaftler Lawrence Lessing) – Computerprogramme schaffen gesellschaftliche Realitäten, und zwar an Bürgern und Parlament vorbei. Transparenz scheint mir das wirksamste Mittel zu sein, um das zu ändern. Man sollte Algorithmen spätestens nach 24 Monaten veröffentlichen müssen. Dann würden Diskriminierung, Missbrauch oder Fehler offenbar.

Was die Daten angeht, benötigen wir eine Lösung, die unsere informationelle Selbstbestimmung ermöglicht. Stellen Sie sich vor, die über uns anfallenden Daten müssten alle an ein persönliches Datenpostfach gesendet werden. Man könnte dann gesetzlich verlangen, dass nur jene Daten verwendet werden dürfen, die wir freischalten. Wir könnten also entscheiden, wer welche Daten für welchen Zweck wie lange benutzen darf.

Barley über Facebook: strenger überwachen, härter ahnden

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    Ein persönlicher digitaler Assistent, der unsere Präferenzen kennt, könnte uns bei der Datenverwaltung helfen. Außerdem müsste die Nutzung persönlicher Daten der Datenmailbox detailliert gemeldet werden. Verstöße würden geahndet. Dann käme es zu einem fairen Wettbewerb um unsere Daten, einem Vertrauenswettbewerb der Unternehmen. Dieser würde zu einer digitalen Vertrauensgesellschaft führen. Nur so können wir erreichen, dass demokratische Entscheidungen nicht unterminiert werden, indem wir unterbewusst manipuliert werden.

    Die Werbung setzt allerdings sehr konsequent ebenfalls auf maßgeschneiderte Botschaften. Wer nach einer neuen Stehlampe sucht, bekommt unentwegt entsprechende Werbe-Banner angezeigt ...

    Helbing: Mit dem Unterschied, dass es bei einer Wahl nicht um einen Konsumgegenstand geht, den man jederzeit durch einen anderen austauschen kann, sondern um unsere Zukunft. Im Kern gehen viele der Ansätze zur Entscheidungsmanipulation auf Geheimdienstmethoden zurück. Das Problem ist, dass diese Methoden ursprünglich für die Kriegsführung gegen Terroristen, Schwerstkriminelle und gegnerische Länder entwickelt wurden. Jetzt drohen sie, selbstbestimmte, demokratische Entscheidungsprozesse zu unterlaufen.

    Facebook-Gründer Mark Zuckerberg entschuldigte sich für den Datenmissbrauch.
    Facebook-Gründer Mark Zuckerberg entschuldigte sich für den Datenmissbrauch. © REUTERS | STEPHEN LAM

    Wenn wir unsere Demokratie erhalten wollen, müssen wir uns bewusst machen, dass wir sie mit solchen Methoden verlieren können. Das Bewusstsein muss auch bei den Software-Entwicklern entstehen. Sie müssen begreifen, dass ihre Entwicklungen weitreichende Konsequenzen haben für das Leben der Menschen und die Gesellschaft, in der wir leben. Es braucht jetzt einen großen öffentlichen Diskurs, der all diese Geschäftspraktiken offenlegt und hinterfragt. Denn es sind nicht nur die Nutzer, die wenig Ahnung von diesen Technologien haben, sondern auch die Politiker.

    Das klingt alles sehr düster. Lässt sich diese Entwicklung umkehren?

    Helbing: Ja, natürlich. Ich hoffe, dass wir jetzt das reinigende Gewitter erleben, das es dringend braucht, um den Weg in eine bessere digitale Zukunft zu finden. Die Nutzer müssen einfordern, dass die Digitalisierung so gestaltet werden muss, dass sie der Gesellschaft und uns allen dient. Das bedeutet digitale Emanzipation. Dazu gehört ein selbstbewusster Umgang der Politik mit den Plattformen. Wir leben ja längst in einer digitalisierten Welt, aber einer, die wir nicht mitbestimmt haben. Im nächsten Schritt müssen wir die Technologie mit unseren Grundwerten in Einklang bringen.