Berlin. Die gesetzlichen Krankenkassen beklagen, dass Patienten für Hilfsmittel mehr bezahlen, als sie müssten. Das soll sich jetzt ändern.

Wer Einlagen für Schuhe, Stützstrümpfe oder Hörgeräte braucht, steht vor der Wahl: Nimmt er das Kassenmodell oder das teurere Selbstzahlerprodukt? Nicht anders ist es bei Rollstühlen, Rollatoren, Bandagen oder Prothesen. Rund 32.500 einzelne Produkte umfasst das Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenkassen. Es wurde gerade frisch überarbeitet.

Doch ein entscheidendes Problem ist noch nicht gelöst: Die Kassen beklagen, dass Patienten oft mehr bezahlen, als sie müssten: Weil Sanitätshäuser, Orthopädietechniker oder orthopädische Schuster Kassenpatienten oft nicht das günstige, zusatzkostenfreie Produkt anbieten, sondern direkt für Angebote mit Aufpreis werben. Das soll sich jetzt ändern.

„Ab sofort müssen alle Leistungserbringer GKV-Versicherte zuerst über zuzahlungsfreie, krankenkassenfinanzierte Hilfs- und Pflegehilfsmittel aufklären, bevor höherpreisige Alternativen angeboten werden dürfen“, mahnte Gernot Kiefer, Vorstand des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) am Dienstag in Berlin. „Es muss eine Versorgungsleistung geben, die ohne Zusatzkosten möglich ist.“

Anbieter müssen dokumentieren, ob es günstige Alternativen gibt

Wer dagegen zum Beispiel aus ästhetischen Gründen ein teureres Produkt, etwa besonders kleine Hörgeräte, auswählt, muss dafür auch in Zukunft einen Aufpreis zahlen. Es dürfe aber nicht sein, dass Sanitätshäuser oder Orthopädie-Fachgeschäfte Patienten von vornherein teurere Hilfsmittel anböten.

Gerade bei den Rollatoren würden Sanitätshäuser heute inzwischen vor allem solche Geräte anbieten, die über der Kassenleistung lägen. „Wir würden uns wünschen, dass deutlich mehr Rollatoren zu den Preisempfehlungen der GKV angeboten würden“, so Kiefer.

Wer ein Hilfsprodukt an einen Patienten abgibt, muss dokumentieren, ob es eine günstigere Variante gab. Mitte des Jahres erwartet der GKV-Spitzenverband einen Mehrkostenbericht. Erst dann, so Kiefer, gäbe es solide Zahlen zur Frage, wie oft Patienten heute das zusatzkostenfreie Basisprodukt bekommen – und wie oft sie (wissentlich oder nicht) ein teureres Alternativprodukt bezahlen.

Qualitätsstandards bei Hilfsmitteln verbessert

Eine querschnittsgelähmte Frau mit einem robotischen Exo-Skelett.
Eine querschnittsgelähmte Frau mit einem robotischen Exo-Skelett. © dpa | Marcel Kusch

Bei etlichen Produkten im Hilfsmittelkatalog wurden in den letzten fünf Jahren die Qualitätsstandards nach Angaben der Kassen verbessert. Einige Beispiele:

Rollatoren dürfen in Zukunft nicht mehr als zehn Kilogramm wiegen

• Bei Kinder-Rollstühlen müssen die Sitzflächen flexibler sein, um Sitzwinkel und Sitzposition besser anpassen zu können

• Bei Patienten, die einen Elektrorollstuhl brauchen, soll es in Zukunft leichter sein, ein Modell zu wählen, das auch in Bussen und Bahnen transportiert werden kann

• Mit einem so genannten Exo-Skelett sollen Querschnittsgelähmte künftig aufstehen, sich hinsetzen, stehen und gehen können

• Mit neuen Armprothesen, die mithilfe elektrischer Energie angetrieben werden, welche die Muskelspannung des Armstumpfes verstärkt, sollen Patienten besser greifen und Dinge leichter festhalten können

Alle fünf Jahre wird das Hilfsmittelverzeichnis überarbeitet

In den vergangenen Jahren hatte es besonders viel Ärger mit schlechten Inkontinenzprodukten gegeben. Die Krankenkassen finanzierten häufig nur Windeln, die besonders billig waren. Viele Patienten mussten auf eigene Rechnung bessere kaufen. Inzwischen müssen die Inkontinenzprodukte Mindestanforderungen erfüllen, hieß es am Dienstag.

Das Hilfsmittelverzeichnis wird regelmäßig alle fünf Jahre überarbeitet, um die Produkte an den neuesten Stand von Forschung und Versorgung anzupassen. Vor zwei Jahren hatte der damalige ­Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) zudem ein Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung auf den Weg gebracht.

Krankenkassen gaben 2017 rund acht Milliarden Euro für Hilfsmittel aus

Mit der jüngsten Überarbeitung des Verzeichnisses verpflichten sich die Krankenkassen, bei der Versorgung von Patienten stärker als bisher auf individuelle Bedürfnisse einzugehen. So sind Sanitätshäuser und Orthopädie-Fachgeschäfte künftig verpflichtet, ihre Kunden in einem akustisch und optisch abgegrenzten Raum zu beraten und zum Beispiel Stützstrümpfe oder Einlagen abzumessen. Besondere Sensibilität wird von Anbietern eingefordert, die Brustprothesen für Krebspatientinnen anpassen oder Patienten mit künstlichem Darmausgang versorgen.

Insgesamt rund acht Milliarden Euro gaben die gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2017 für Hilfsmittel aus – das sind 3,7 Prozent ihrer Gesamtausgaben. Die Summe ist in den letzten zehn Jahren um rund 40 Prozent gestiegen.

Als Gründe dafür nannte Kiefer den steigenden Bedarf durch die älter werdende Bevölkerung und technische Innovationen, die die Versorgung verbesserten, aber eben auch die Kosten erhöhten.