Berlin. Trotz geringem Gehalt, hat die Physiotherapie Vorteile. Die Akademisierung des Berufs geht voran. Das müssen Interessierte wissen.

Rainer Großmann engagiert sich seit 2013 im Vorstand des Deutschen Verbands für Physiotherapie (ZVK), Länderverbund Nordost.

Herr Großmann, wie wird man Physiotherapeut?

Rainer Großmann: Zurzeit wird vor allem fachschulisch ausgebildet, die dreijährige Ausbildung schließt mit dem Staatsexamen ab. Doch es zeichnet sich eine zunehmende Akademisierung ab, und das ist gut so. Denn der Beruf muss sich weiterentwickeln. Natürlich sind die praktischen Anteile wichtig, wir sprechen schließlich von einem Handwerk. Doch es ist ebenfalls wichtig, Behandlungstechniken und deren Wirksamkeit zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Ein Studium vermittelt die entsprechenden Abstraktions- und Re­flexionsfähigkeiten.

Wie hat sich der Beruf über die Jahre verändert?

Großmann: Früher war die Physiotherapie eine Frauenbranche. Heute entscheiden sich immer mehr Männer für den Beruf. Und heute kann ich mich als frisch ausgebildeter Physiotherapeut direkt selbstständig machen, früher waren zwei Jahre Berufserfahrung erforderlich.

Rainer Großmann ist Vorstandsmitglied im Deutschen Verband für Physiotherapie „Physio Deutschland“.
Rainer Großmann ist Vorstandsmitglied im Deutschen Verband für Physiotherapie „Physio Deutschland“. © Privat | Privat

Andererseits ist dieser Beruf geprägt von einem hohen Maß an Unselbstständigkeit: Es geht eigentlich kein Weg am Arzt vorbei, denn ohne ein Arztrezept dürfen wir bei Schmerzproblemen nicht helfen. Das versuchen wir zu ändern.

Sie sagten, „eigentlich“ geht kein Weg am Arzt vorbei. Also gibt es doch eine Möglichkeit, selbstständig zu behandeln?

Großmann: Mit einer Zulassung als sektoraler Heilpraktiker (Fortbildung für Physiotherapeuten, Anm. d. Red.) kann ein Physiotherapeut auch ohne Zuweisung durch einen Arzt die Diagnose stellen und therapeutisch tätig werden. Und natürlich dürfen wir präventiv tätig werden.

Gibt es einen Fachkräftemangel bei den Physiotherapeuten?

Großmann: Einen Fachkräftemangel sehen wir inzwischen in vielen Berufen, doch hier haben wir es mit einer Versorgungsproblematik zu tun. Wir können heute schon nicht mehr alle Patienten behandeln. Und eine Studie spricht von 20.000 weiteren Physiotherapeuten, die bis 2030 in Berlin und Brandenburg gebraucht werden.

Dann haben es Berufseinsteiger also leicht?

Großmann: Frisch ausgebildete Physiotherapeuten können sich ihren Arbeitgeber aussuchen, das ist richtig. Und der Beruf ist ausgesprochen vielseitig. Wir sprechen hier von einem bunten Strauß von Therapiemöglichkeiten mit unterschiedlichsten Techniken – ob manuell, neurologisch oder orthopädisch. Und ich kann vom Säugling bis zum Senior alle Altersgruppen behandeln. Und wer nicht mit Patienten arbeiten möchte, spezialisiert sich auf Sportmedizin. Oder geht auf ein Kreuzfahrtschiff. Oder ins Ausland. Die Möglichkeiten sind geradezu grenzenlos.

Und wie steht es um die Bezahlung in der Branche?

Großmann: Der Beruf ist ausgesprochen schlecht vergütet. Ein Berufseinsteiger verdient im Durchschnitt zwischen 1950 und 2100 Euro brutto. Das ist zu wenig. Da müssen wir was tun. Unser Verband verhandelt bereits mit den Kostenträgern. Ich bin optimistisch. Ein weiterer Aspekt, mit dem wir noch kämpfen, ist das Schulgeld. Nicht in allen Bundesländern ist die fachschulische Ausbildung schulgeldfrei. Während das in Brandenburg der Fall ist, müssen Berliner Schüler zahlen. Das ist kontraproduktiv, denn wir müssen unseren Beruf attraktiver machen. Wer jedoch 15 bis 20.000 Euro Schulgeld aufbringen soll, schaut sich vielleicht lieber nach Alternativen um.

Welche Alternativen gibt es denn?

Großmann: Einen guten Einstieg für Schulabgänger mit „nur“ dem ersten Schulabschluss ist der Beruf Masseur und medizinischer Bademeister, denn darauf lässt sich der Beruf Physiotherapeut aufbauen, der sonst einen Realschulabschluss als Voraussetzung vorsieht. Dann gibt es den Ergotherapeuten, dessen Techniken sich mit denen eines Physiotherapeuten überschneiden, den Podologen, der beispielsweise Diabetiker mit Fußproblemen behandelt oder den Logopäden, der sich mit Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckbeeinträchtigungen beschäftigt.