Berlin. Der „Tatort“ Dresden thematisiert Tricks der Versicherer. Realität oder Fiktion? Ein Überblick über die Berufsunfähigkeitsversicherung.

Im Dresdener „Tatort“ ist Harald Böhlert ganz klar das Opfer: zwar nicht das Mordopfer, aber das Versicherungsopfer schlechthin. Seit einem Arbeitsunfall sitzt er im Rollstuhl. Doch die Versicherungsfirma ALVA, bei der Böhlert eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) abgeschlossen hatte, will ihm keine Rente zahlen.

Behinderung, jahrelanger Rechtsstreit mit dem Versicherer, Niedergang seiner Firma – das alles hat Böhlert zermürbt. So sehr, dass er als Tatverdächtiger in den Fokus der „Tatort“-Ermittlerinnen Henni Sieland und Karin Gorniak gerät, als der ALVA-Chef von einem Scharfschützen erschossen wird.

Berufsunfähigkeitsversicherungen haben auch in der Realität nicht unbedingt den besten Ruf. Doch verweigern Versicherer ihren Kunden tatsächlich so skrupellos die Leistungen wie im Dresdener „Tatort“? Ein Überblick über die Berufsunfähigkeitsversicherung:

• Weigern sich Versicherer tatsächlich so häufig, BU-Renten zu zahlen?

Berufsunfähigkeitsversicherungen sollen den Versicherungsnehmer finanziell absichern, wenn er seinen zuletzt ausgeübten Beruf krankheitsbedingt nicht weiterführen kann. In diesem Fall soll der Versicherer eine vorher vertraglich festgelegte Rente zahlen.

Doch nicht immer klappt das reibungslos. „Das Klischee vom knausrigen Versicherer ist falsch“, heißt es zwar beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), dennoch zeigt eine GDV-Statistik: Nur etwas mehr als drei Viertel (77 Prozent) der eingereichten Leistungsanträge werden anerkannt.

Laut GDV mussten die Versicherer bei der BU 2016 über 62.500 Fälle entscheiden, nur zwei Prozent seien vor Gericht gelandet. Davon sei bei der Hälfte der Fälle ein Vergleich erzielt worden, in 35 Prozent hätten die Gerichte zugunsten der Versicherer entschieden, in 15 Prozent hätten die Versicherungsnehmer gewonnen.

Toter Versicherungschef am „Tatort“ in Dresden

Mord in der Versicherung beim „Tatort: Auge um Auge“ in Dresden: Heiko Gebhardt, Abteilungsleiter bei der Versicherungsfirma ALVA, wurde von einem Scharfschützen getötet. Gerichtsmediziner Lammert (Peter Trabner) zeigt Kommissarin Henni Sieland (Alwara Höfels) die Einschussstellen.
Mord in der Versicherung beim „Tatort: Auge um Auge“ in Dresden: Heiko Gebhardt, Abteilungsleiter bei der Versicherungsfirma ALVA, wurde von einem Scharfschützen getötet. Gerichtsmediziner Lammert (Peter Trabner) zeigt Kommissarin Henni Sieland (Alwara Höfels) die Einschussstellen. © MDR/Wiedemann & Berg | Gordon Muehle
Gerichtsmediziner Lammert erklärt Henni Sieland und ihrem Chef Peter Michael Schnabel (Martin Brambach, l.), was er schon über den Tathergang schlussfolgern kann.
Gerichtsmediziner Lammert erklärt Henni Sieland und ihrem Chef Peter Michael Schnabel (Martin Brambach, l.), was er schon über den Tathergang schlussfolgern kann. © MDR/Wiedemann & Berg | Gordon Muehle
Während ihre Kollegen den Fundort der Leiche unter die Lupe nehmen, ist Kommissarin Karin Gorniak (Karin Hanczewski) mit dem Spurensicherer (Renato Schuch) auf dem Dach des gegenüberliegenden Hochhauses unterwegs. Von dort hatte der Täter geschossen.
Während ihre Kollegen den Fundort der Leiche unter die Lupe nehmen, ist Kommissarin Karin Gorniak (Karin Hanczewski) mit dem Spurensicherer (Renato Schuch) auf dem Dach des gegenüberliegenden Hochhauses unterwegs. Von dort hatte der Täter geschossen. © MDR/Wiedemann & Berg | Gordon Muehle
Für die Kommissarinnen Gorniak (Karin Hanczewski, l.) und Sieland (Alwara Höfels) beginnt die Suche nach Hinweisen. Sie befragen eine Mitarbeiterin der ALVA.
Für die Kommissarinnen Gorniak (Karin Hanczewski, l.) und Sieland (Alwara Höfels) beginnt die Suche nach Hinweisen. Sie befragen eine Mitarbeiterin der ALVA. © MDR/Wiedemann & Berg | Gordon Muehle
Einer der Tatverdächtigen ist Rainer Ellgast (Arnd Klawitter). Der Hobbyschütze ist der Kollege des getöteten Heiko Gebhardt. Er hätte gerne den Chefposten seines Kollegen gehabt.
Einer der Tatverdächtigen ist Rainer Ellgast (Arnd Klawitter). Der Hobbyschütze ist der Kollege des getöteten Heiko Gebhardt. Er hätte gerne den Chefposten seines Kollegen gehabt. © MDR/Wiedemann & Berg | Gordon Muehle
Als Ellgast von Gorniak und Sieland befragt wird, tischt er ihnen ein falsches Alibi auf.
Als Ellgast von Gorniak und Sieland befragt wird, tischt er ihnen ein falsches Alibi auf. © MDR/Wiedemann & Berg | Gordon Muehle
Ebenfalls tatverdächtig: das Ehepaar Harald (Peter Schneider) und Ines Böhlert (Marie Leuenberger). Harald Böhlert sitzt seit einem Arbeitsunfall im Rollstuhl, bekommt aber trotz Berufsunfähigkeitsversicherung kein Geld von der ALVA. Die Böhlerts sind enttäuscht von der Versicherung und demonstrieren für ihre Rechte.
Ebenfalls tatverdächtig: das Ehepaar Harald (Peter Schneider) und Ines Böhlert (Marie Leuenberger). Harald Böhlert sitzt seit einem Arbeitsunfall im Rollstuhl, bekommt aber trotz Berufsunfähigkeitsversicherung kein Geld von der ALVA. Die Böhlerts sind enttäuscht von der Versicherung und demonstrieren für ihre Rechte. © MDR/Wiedemann & Berg | Gordon Muehle
Kommissariatsleiter Schnabel befragt Fabian Rossbach (Sascha Göpel), einen weiteren Tatverdächtigen.
Kommissariatsleiter Schnabel befragt Fabian Rossbach (Sascha Göpel), einen weiteren Tatverdächtigen. © MDR/Wiedemann & Berg | Gordon Muehle
Auch Rossbach will Geld von der ALVA. Er könne wegen einer Knieverletzung nicht mehr arbeiten, behauptet er.
Auch Rossbach will Geld von der ALVA. Er könne wegen einer Knieverletzung nicht mehr arbeiten, behauptet er. © MDR/Wiedemann & Berg | Gordon Muehle
Schnabel findet auf dem Wäscheständer von Rossbach Fahrradkleidung. Offenbar kann Rossbach trotz des verletzten Knies seinem Hobby Rennradfahren nachgehen.
Schnabel findet auf dem Wäscheständer von Rossbach Fahrradkleidung. Offenbar kann Rossbach trotz des verletzten Knies seinem Hobby Rennradfahren nachgehen. © MDR/Wiedemann & Berg | Gordon Muehle
Werden die Mitarbeiterinnen der ALVA unter Druck gesetzt? Cordula Wernicke (Ramona Kunze Libnow, l.) zeigt ihrer Kollegin Claudia Bischoff (Isabell Pollack) eine Patrone. Sie wurde ihr anonym in einem Umschlag per Hauspost geschickt.
Werden die Mitarbeiterinnen der ALVA unter Druck gesetzt? Cordula Wernicke (Ramona Kunze Libnow, l.) zeigt ihrer Kollegin Claudia Bischoff (Isabell Pollack) eine Patrone. Sie wurde ihr anonym in einem Umschlag per Hauspost geschickt. © MDR/Wiedemann & Berg | Gordon Muehle
Wernicke wird von ihrer Kollegin Bischoff, die eine Affäre mit Rainer Ellgast hat, beobachtet.
Wernicke wird von ihrer Kollegin Bischoff, die eine Affäre mit Rainer Ellgast hat, beobachtet. © MDR/Wiedemann & Berg | Gordon Muehle
IT-Experte Ingo Mommsen (Leon Ullrich) berichtet Kommissarin Gorniak seine neuesten Erkenntnisse über die innerbetrieblichen Intrigen der ALVA. Welcher der Verdächtigen ist bloß der Täter?
IT-Experte Ingo Mommsen (Leon Ullrich) berichtet Kommissarin Gorniak seine neuesten Erkenntnisse über die innerbetrieblichen Intrigen der ALVA. Welcher der Verdächtigen ist bloß der Täter? © MDR/Wiedemann & Berg | Gordon Muehle
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• Welche Gründe können zum Streit um die Zahlungspflicht der Versicherer führen?

Ein Grund, warum die Versicherung im Schadensfall in manchen Fällen die Zahlung verweigert, kann eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung sein. Das bedeutet: Der Versicherte hat bei Vertragsabschluss – beabsichtigt oder nicht – Fragen zu seiner Gesundheitshistorie fehlerhaft beantwortet.

Der Versicherer kann im Schadensfall die Krankenakte anfordern, um nachzuprüfen, ob bei Vertragsabschluss bestehende Krankheiten verschwiegen wurden. Sollte das der Fall sein, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten und die Zahlung verweigern.

Experten, etwa die vom Finanzportal finanztip.de, raten Verbrauchern deshalb, vor Vertragsschluss die Patientenakten aller Ärzte anzufordern, um die Gesundheitsfragen richtig beantworten zu können. „Lügen Sie auf keinen Fall bei den Gesundheitsfragen, um einen billigeren Tarif zu bekommen. Selbst das Weglassen von vermeintlichen Kleinigkeiten kann Sie Jahre später schlimmstenfalls die BU-Rente kosten“, warnen sie.

Ein weiterer Grund, bei dem die Zahlung verweigert werden kann: Der Versicherungsnehmer ist laut Versicherer – wie im aktuellen „Tatort“ – nicht krank genug. Der Versicherungsfall tritt bei den meisten BU-Policen erst ein, wenn der Versicherte zu mindestens 50 Prozent berufsunfähig ist. Bei immerhin sechs Prozent der Anträge schalten die Versicherer externe Gutachter ein, die die Berichte der behandelnden Ärzte in Frage stellen.

Gerade bei psychischen Erkrankungen wie Burnout oder Depressionen ist der Nachweis der Berufsunfähigkeit entsprechend schwierig. Doch laut der GDV-Zahlen sind genau diese Erkrankungen der häufigste Grund für die Berufsunfähigkeit (Männer: 22 Prozent; Frauen: 30 Prozent), noch vor Krebs (Männer: 16 Prozent; Frauen: 22 Prozent) und Erkrankung des Bewegungsapparats (Männer: 21 Prozent; Frauen: 14 Prozent).

• Ist es trotzdem ratsam, eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen?

Die BU zählt zu den wichtigsten Versicherungen überhaupt, heißt es bei der Verbraucherzentrale Bremen. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen sieht die Absicherung der eigenen Arbeitskraft sogar als noch wichtiger als die Altersabsicherung. Doch nur wenige Verbraucher seien tatsächlich genügend abgesichert, die meisten seien sich über die Risiken und das Ausmaß der Versorgungslücke überhaupt nicht bewusst, warnen die Verbraucherschützer.

Berufsunfähigkeitsschutz über die gesetzliche Rentenversicherung genießen laut Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) nämlich nur diejenigen, die vor dem 2. Januar 1961 geboren wurden. Alle anderen erhalten als staatliche Hilfe bis zum regulären Renteneintrittsalter lediglich eine Erwerbsminderungsrente – und die betrug laut Deutscher Rentenversicherung im Jahr 2016 durchschnittlich lediglich 756 Euro in den alten bzw. 771 Euro in den neuen Bundesländern.

Die volle Erwerbsminderungsrente steht dabei nur wenigen Betroffenen zu: Wer mehr als drei Stunden pro Tag in irgendeinem, also nicht unbedingt in dem eigentlich gelernten Beruf arbeiten kann, erhält nicht den vollen Satz. Das bedeute, dass beispielsweise ein Chefarzt, der noch als Pförtner arbeiten kann, keine Erwerbsminderungsrente erhalte, sagen die Experten von finanztip.de.

Weil die Erwerbsminderungsrente den finanziellen Ausfall bei Berufsunfähigkeit in der Regel nicht decken kann, sei eine private Vorsorge unumgänglich, betonen die Verbraucherzentralen.

• Worauf sollte man bei Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung achten?

Verbraucherschützer und Versicherungsexperten raten, eine BU möglichst früh abzuschließen. Denn wer jung und gesund ist, erhält in der Regel günstigere Tarife als ältere Versicherungsnehmer mit Vorerkrankungen. Die Verbraucherzentrale NRW rät, im Idealfall das aktuelle Nettogehalt als Rentenhöhe festzulegen, mindestens aber zwei Drittel. Die Laufzeit sollte im Idealfall bis zum regulären Renteneintritt gewählt werden.

Wer eine Rentenhöhe unterhalb des Grundsicherungsniveaus vereinbart, kann die BU auch ganz sein lassen. Denn: Leistungen aus der BU werden auf mögliche Sozialleistungen des Staates angerechnet. Wer zu niedrige Renten festlegt, zahlt also möglicherweise jahrelang in die Versicherung ein, erhält im Schadensfall aber trotzdem nur die gesetzliche Grundsicherung.

„Verbraucher sollten von vornherein Verträge abschließen, die gute Versicherungsbedingungen beinhalten“, sagt eine Sprecherin der Verbraucherzentrale NRW auf Anfrage dieser Redaktion. „Hat der Vertrag einen guten Inhalt, muss Verbraucher zwar im Zweifel klagen, aber die Rechtslage aus dem Vertrag kann ihm dann Recht geben.“ Aus diesem Grund kann es sinnvoll sein, mindestens drei Monate vor Vertragsschluss eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen.

Gute Versicherer sind laut der Verbraucherzentralen Hamburg und Niedersachsen etwa diejenigen, die auf sogenannte Verweisungsklauseln bzw. abstrakte Verweisung verzichten. Der Verzicht garantiert dem Versicherungsnehmer, dass die Versicherung nicht prüft, ob der Betroffene auch eine andere Tätigkeit als seinen eigentlichen Beruf ausüben könnte, um so Rentenzahlungen zu umgehen.

Zudem sollte der Vertrag nicht an andere Versicherungen gekoppelt sein, rät die Sprecherin der Verbraucherzentrale NRW weiter. Kombi-Versicherungen, etwa mit einer Kapitallebens- oder einer Rentenversicherung, sind meist deutlich teurer als die ohnehin kostspieligen Berufsunfähigkeitsversicherungen.

Das verleitet dazu, zu niedrige Renten zu vereinbaren, um damit Kosten zu sparen. Zudem steigt bei Kombi-Angeboten das Risiko, die Versicherung zu kündigen, sollte das Geld aus unvorhergesehenen Gründen einmal knapp werden. Wer dann die Prämie nicht mehr zahlen kann, verliert häufig auch den BU-Schutz.

• Wovon hängen die Kosten bei der BU ab?

Die Versicherungsprämien bei der BU hängen vom Beruf des Versicherungsnehmers, von seinem Gesundheitszustand, von der Höhe der vereinbarten Rente im Schadensfall sowie von der Laufzeit der Versicherung ab. Jemand mit Risikoberuf, beispielsweise ein Dachdecker, zahlt mehr als jemand in einem Beruf mit geringem Unfallrisiko, wie zum Beispiel ein Bürokaufmann.

Teilweise werden bei Vorerkrankungen, Risikoberufen oder auch risikobelasteten Hobbys erhebliche Zuschläge fällig. Manchmal, etwa bei chronischen Erkrankungen und psychischen Leiden, lehnen die Versicherungen einen Vertrag sogar komplett ab.

• Was können Personen machen, die von der Berufsunfähigkeitsversicherung abgelehnt werden?

Um nicht gänzlich ohne Schutz bleiben zu müssen, können abgelehnte Betroffene „ihren Arbeitgeber fragen, ob es im Rahmen einer betrieblichen Altersvorsorge möglich ist, einen BU-Vertrag ohne Gesundheitsprüfung abzuschließen“, rät eine Sprecherin der Verbraucherzentrale Hamburg auf Anfrage.

Wer keine Möglichkeit findet, eine BU abzuschließen, muss Abstriche beim Versicherungsschutz machen. Das Portal finanztip.de informiert über mögliche Alternativen zu BU wie etwa private Erwerbsunfähigkeits-, Dread-Disease-, Multi-Risk-, Grundfähigkeits- oder Unfallversicherungen.

• Was können Versicherungsnehmer machen, wenn im Schadensfall Leistungszahlungen verweigert werden?

Sollte es im Schadensfall zum Streit mit der Versicherung kommen, bieten die Verbraucherzentralen Beratung an. Zudem gibt es die Möglichkeit, den Ombudsmann für Versicherungen, eine anerkannte Schlichtungsstelle für Verbraucher, in Anspruch zu nehmen. Im Zweifelsfall bleibt Versicherungsopfern schließlich noch die Möglichkeit, zu klagen.

Allerdings ist ein Rechtsstreit zeit- und nervenaufreibend und im Zweifelsfall sehr kostspielig – gerade für Menschen in einer schwierigen Situation durch Berufsunfähigkeit eine enorme Belastung.