Berlin. Zwölf Promis kämpfen in der RTL-Show um die Krone – und können am Ende doch nur verlieren, glauben Experten. Es profitieren andere.
Promis, die Getier schlürfen, durch Matsch und Tunnel kriechen und die restliche Zeit mit Geständnissen, Zoff und Intrigen am Lagerfeuer totschlagen – am Freitag startet RTL wieder seine Fremdschäm-Orgie „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“. Zwölf Kandidaten ziehen ins Dschungelcamp, darunter chirurgisch veränderte Models wie Gina-Lisa Lohfink und Kader Loth, Gelegenheits-Stripper Marc Terenzi, aber auch Ex-Fußballer Thomas Häßler.
Menschen mit verebbten Karrieren und oft zweifelhaftem Ruf. Sie alle kämpfen den fatalistischen Kampf derer, die nichts mehr zu verlieren haben. Einer von ihnen wird von den Zuschauern zum Dschungelkönig gewählt. Wer aber sind die eigentlichen Gewinner der Show?
Filetstück im RTL-Jahreskalender
In erster Linie RTL. Die beiden ersten Staffeln liefen 2004, seit 2008 entwickelte sich das Dschungelcamp für den Kölner Sender zum Filetstück im Jahreskalender. Letztes Jahr sahen bis zu 8,6 Millionen Zuschauer hin, als der gescheiterte Popstar Menderes Bağci sich die Krone holte. 4,2 Millionen davon waren im werberelevanten Alter zwischen 14 bis 49 Jahren. Nur die EM war da noch erfolgreicher. Das treibt die Werbepreise nach oben.
Früher noch rümpften Werbekunden angesichts des Schmuddel-Umfeldes die Nase – heute blättern sie zwischen 78.300 Euro und 126.000 Euro für einen 30-Sekunden-Spot hin. „Wir sind dieses Jahr erstmals mit Cut-ins dabei“, sagt ein Sprecher des Lebensmittel-Konzerns Rewe. Das sind Werbebotschaften, die ins laufende Programm integriert werden.
Kandidaten vor Abflug in Dschungelcamp
Werbung greift aktuelles Geschehen auf
Opel hält die jungen Dschungel-Zuschauer für spaßorientiert und abenteuerlustig und wird, ebenfalls über Cut-ins, auf ein entsprechendes Gewinnspiel aufmerksam machen. Kunden wie Bahlsen passen ihre Spots sogar dem aktuellen Dschungel-Geschehen an.
„Für uns ist das Dschungelcamp auch eine Chance, um neue Formate auszuprobieren“, sagt Christian Bahlmann, Sprecher von Bahlsen. Für die letzte Staffel produzierte das Unternehmen mit einem eigenen Fernsehstudio in Köln kurze Werbeclips, die Ereignisse im Camp aufgegriffen. „Wir haben einige Stunden vorher von RTL erfahren, was in der Folge passiert, und das dann von unserem Testimonial im Clip thematisieren lassen“.
Wie der Super-Bowl im Kleinen
Bei der nun anlaufenden Staffel experimentiert das Unternehmen mit Einblendungen während der Sendung, zum Beispiel sogenannten „Split Frames“, bei denen sich ein Rand mit Werbung um die Szene legt. Für Bahlsen ist die Investition nur konsequent. Sprecher Bahlmann vergleicht die Show aus sich des Marketings gar mit dem „Super Bowl“ in den USA. „Wie bei dem Football-Finale ist es hier im Kleinen auch so, dass die Unternehmen zeigen, was sie werbemäßig draufhaben.“ Und das rechnet sich.
„Das Dschungelcamp ist eine optimale Plattform für Werbe-Experimente“, sagt auch Marken-Experte Dirk Benninghoff von der Agentur Fischer Appelt. „Dass etwa die Diät-Spezialisten Weight Watchers angesichts des Dschungel-Ekel-Fraßes dabei sind, ist fast schon zynisch wie die Show selbst.“
Camp hat auf Zuschauer stimulierende Wirkung
Offenbar ist der Zuschauer beim Dschungelcamp auf eine Weise stimuliert, die Kaufentscheidungen beschleunigt. Neuropsychologe Sören Krach von der Lübecker Uni ist Mitverfasser einer Studie zum Thema Fremdscham und Schadenfreude. „Bei Schadenfreude fühle ich mich der beobachteten Person überlegen“, erklärt er.
„Wir konnten feststellen, dass dieses Überlegenheitsgefühl das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert.“ Ein derart befeuertes Gehirn nun ist besonders empfänglich für Markenbotschaften, die ihm weitere Überlegenheit suggerieren, etwa durch den Kauf eines neuen Autos.
Und noch jemand profitiert vom Dschungelcamp. Die Produktionsfirma ITV aus dem englischen Manchester hat das Format, das 2002 startete, entwickelt. Die Lizenzen konnten in zehn Länder verkauft werden, doch nirgendwo im Ausland zündete es so wie in Deutschland.
Die zwölf Dschungelcamp-Kandidaten
Sieger in RTL-Verwertungsmaschinerie weitergereicht
Und die Promis selbst? Diesjährige Gagenkönigin soll Gina-Lisa Lohfink sein. 150.000 Euro kassiert sie laut einem RTL-Insider für die maximal zwei Wochen im Camp. Für ihren zweiten Einzug soll Ex-Hollywoodstar Brigitte Nielsen vergangenes Jahr 250.000 Euro verdient haben. Promis der Klassen C bis Z dagegen werden bis auf 40.000 Euro heruntergehandelt.
Einen Karriere-Schub hat keiner der Dschungelkönige erlebt. Immerhin werden Sieger, aber auch besonders verhaltensauffällige Kandidaten, eine Weile weitergereicht in der Verwertungsmaschinerie des Privatfernsehens, tingeln durch Talkshows oder weitere Reality-Formate. Am Ende kommentieren sie oft wenigstens noch alte Musikclips in Chartshows. „Die Zuschauer wollen gar nicht, dass die Stars noch mal groß Erfolg haben“, glaubt Experte Benninghoff. „Gerade die Aura des Scheiterns macht sie ja sympathisch.“
Für ihr Geld werden die Teilnehmer jedoch immer härtere Ekelprüfungen bestehen müssen. „Fremdschamauslösende Prozesse verändern sich sehr schnell“, sagt Forscher Krach. „Was gestern noch aufregte, sorgt heute nur noch für ein Schulterzucken.“