Köln. Adele lüftete ein Geheimnis, ein wichtiger Gast sagte kurzfristig ab: Das waren zwei der wenigen Überraschungen bei Jauchs TV-Abend.

Günther Jauch hatte es dieses Mal aber auch nicht einfach. Dominierte beim Rückblick auf 2014 der spektakuläre WM-Sieg der deutschen Nationalmannschaft, musste der Moderator und Vorzeige-Quizonkel sich dieses Jahr mit weit bedrückenderen Themen beschäftigen. Und das, ohne den Zuschauer nach mehr als drei Stunden Sendezeit auf RTL in einen unruhigen Schlaf zu entlassen. Bei „2015 – Menschen, Bilder, Emotionen“ kam am Sonntagabend das wohl bedeutendste Thema des Jahres, die Flüchtlingskrise, zwar häufig auf den Tisch. Nur schien Jauch darüber nicht so richtig sprechen zu wollen.

Deutschlands Schlagerprinzessin Helene Fischer durfte den Auftakt machen und von ihrer erfolgreichen Tournee berichten (fast eine Million Menschen sahen sie live). Wir erfuhren, dass sie in ihrer Kindheit am liebsten Songs der „Kelly Family“ sowie Michael Jacksons und in ganz schwachen Momenten auch Lieder von Heintje und Peter Alexander gesungen hat – beim Putzen. Da folgte Jauchs erster Versuch das Thema Flüchtlinge einzubringen. Auch sie sei als Kind aus Sibirien geflüchtet, sagte die Sängerin auf Nachfrage. Dennoch endet das Gespräch mit der „Beichte“, dass auch Helene Fischer sich die Haare blond färbe und bald an einem neuen Album arbeiten werde.

Erschütternde Filmaufnahmen vom Beben in Nepal

Der nächste Gast brachte dafür sehr viel mehr Dramatik mit. Jost Kobusch, ein junger deutscher Bergsteiger, wollte im April bei einer Himalaja-Expedition den Lhotse besteigen, wurde aber Zeuge des schwersten Erdbebens, das Nepal je gesehen hat und tausenden Menschen das Leben kostete. Beeindruckende Filmaufnahmen zeigten, wie der 23-Jährige den Moment erlebt, als das Basislager von einer riesige Lawine gnadenlos überrollt wird. Kobusch hat unter den Eismassen überlebt, 25 andere dort oben nicht. Es wurde allerdings zu einem unangenehm steifen Interview. „Hatten Sie in diesem Moment mit ihrem Leben abgeschlossen?“, fragte Jauch. Ja, das sei der Moment gewesen in dem er dachte, er würde sterben, antwortete Kobusch. In seinem intimsten Moment lenkte Jauch das Gespräch lieber auf die viel diskutierte Problematik des kommerziellen Bergsteigens. Kobusch hätte sicher auch dazu eine Meinung gehabt. Doch es blieb kaum Zeit für eine Antwort.

Den „Neun Minuten für die Ewigkeit“ gab Moderator Jauch dafür mehr Raum. Die Zuschauer wollten schließlich unterhalten werden. Sein Gast ist Robert Lewandowski, der es mit seinem unglaublichen Fünferpack beim Spiel gegen den VfL Wolfsburg ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft hat. Jauch stellte die Fragen, die man einem Fußballspieler ebenso stellt. Woran denke man denn, wenn man fünf Tore hintereinander schießt? Und ein Fußballer antwortete, wie er eben antwortet. Erst habe er eben das erste Tor geschossen, dann das zweite und so weiter, sagte der Bayern-Stürmern und begeisterte das Publikum zumindest mit einem Detail: Nach dem Spiel habe ihm die Mannschaft eine unterschriebene Glückwunschkarte geschenkt.

Flüchtlingsmädchen Reem Sahwil beeindruckt mit Reife

Dass es Jauch an wichtigen Gästen für einen Jahresrückblick nicht mangelte, zeigte auch Reem Sahwil. Das Flüchtlingsmädchen, das im Juli vor Angela Merkel in Tränen aus Angst vor einer Abschiebung in den Libanon ausbrach, beeindruckte mit ihrer Reife vermutlich jeden Zuschauer. „Ich habe geweint, weil ich aufgeregt war. Aber ihre Meinung hat sie ehrlich vertreten“, sagt die 14-Jährige diplomatisch über Merkels umstrittene Reaktion. „Sie ist Bundeskanzlerin und das ist eben Politik. An ihrer Stelle hätte ich das Gleiche gemacht.“

Man hätte gerne mehr von dem schlauen Mädchen gehört. Aber dann ging es weiter mit Adele, bei der es inzwischen nicht einmal mehr einer Einführung bedarf. Die Frau, die nach fast fünf Jahren mit ihrem neuen Album alle Rekorde bricht, absolvierte bei RTL ihren einzigen Auftritt im deutschen Fernsehen. Mehr war es auch nicht. Ein Geheimnis verriet Adele dem plötzlich verschüchterten Jauch noch, bevor sie die Bühne wieder verließ: Sie hat einen deutschen Dackel und der heißt Louis Armstrong.

Der stärkste und wohl ehrlichste Moment bildete den traurigen Höhepunkt der Sendung: Bewegend offen erzählte ein Hinterbliebener von der Liebe zu seiner schwangeren Lebenspartnerin, die bei dem erschütternden Absturz der Germanwings-Maschine im März, bei dem 150 Menschen starben, ums Leben kam. Er erzählte, wie er noch eine Nacht in ihrem Bett schlafen wollte, wie ein Teil von ihm sich wünsche, dass er dabei gewesen und ihre Hand gehalten hätte. Jauch fragte, was es für einen Unterschied mache, ob der Absturz durch einen Unfall oder wie in diesem Fall mit Absicht herbeigeführt wurde. „Die Wut“, antwortete sein Gast. „Denn ein Mensch kann Entscheidungen treffen.“

Bilder des Jahres in Schnipseln zusammengefasst

Solide aber in Schnipseln fasste RTL dann die wichtigsten Ereignisse des Jahres in Bildern zusammen: Die Willkommenskultur der Deutschen für die anreisenden Flüchtlinge auf der einen und die Pegida-Aufmärsche auf der anderen Seite, der Tod von Helmut Schmidt, die Fast-Staatspleite der Griechen, die Fifa im Korruptionswirbel, Niersbachs Rücktritt im Zuge der DFB-Sommermärchen-Schmiergeldaffäre und die grausamen Attentate von Paris.

Tapfer zeigte sich auch Michael Mronz, der seinen an Leukämie erkrankten Ehemann Guido Westerwelle kurzfristig vertrat. Der Auftritt des ehemaligen FDP-Chefs war nur wenige Stunden vor der Sendung abgesagt worden. Er mache derzeit eine Umstellung der Medikamente durch und die Ärzte wollten ihn lieber im Krankenhaus zur Beobachtung behalten, berichtete Mronz. „Ich habe in keinem Augenblick daran gezweifelt, dass Guido wieder gesund wird“, sagte er betont optimistisch und sorgte mit diesem so selbstverständlich vorgetragenen Satz für Gänsehaut: „Ich sehe ihn nicht als Patienten, ich sehe ihn als meinen Ehemann.“

Zwei Drittel der Sendezeit waren inzwischen rum, dann kam das bislang nur unterschwellig angesprochene Thema Flüchtlinge auf den Tisch. Sängerin Sarah Connor, die ihr erstes deutsches Album „Muttersprache“ vorstellte, sprach mit Jauch über die Aufnahme einer Flüchtlingsfamilie. Der interessierte sich aber vorwiegend für die Abwicklung der behördlichen Aspekte und hat Glück, dass die Sängerin dennoch gute Antworten gibt. „Manchmal sind wir alle genervt voneinander, wie in einer großen Familie, aber es funktioniert“, sagt sie.

Zum Abschluss eine fast grotesk wirkende Tiergeschichte

Nicht ganz gewachsen war Günther Jauch dann der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die bei einem rechtsradikal motivierten Attentat auf einer Wahlveranstaltung im Oktober niedergestochen wurde. Zweifellos war die 58-jährige Reker mit bester Schlagfertigkeit gewappnet. Und deshalb bleibt sie uns vermutlich eine ehrliche Antwort auf die Frage, ob sie nun Angst bei öffentlichen Auftritten in Menschenmassen habe, schuldig.

An offenen Worten mangelte es Til Schweiger zwar nicht, doch auch das Interview mit dem Schauspieler blieb – obgleich des polarisierenden Themas – trocken. Es ging um Spenden für seine Stiftung, um seine klare Haltung in der Flüchtlingskrise, Hasskommentare auf Facebook und sein Treffen mit Sigmar Gabriel. Ganz kurz, ein Händedruck und Tschüs. Da holte Jauch sich schon seinen blondgelockten Moderatoren-Kollegen auf die Bühne. Thomas Gottschalk durfte über karierte Anzüge und seine Autobiographie sprechen. Zum Abschied hatte RTL – na was? – noch eine Tiergeschichte parat.

Und zwar die des an einer Autobahnraststätte entlaufenen Hundes „Flecki“, deren unermüdliche Besitzer sogar ein Rettungsteam einberufen und damit bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hatten, bis der entlaufene Vierbeiner schließlich nach elf Tagen zurückkehrte. Der Beitrag wurde mit einer derartigen Dramatik erzählt, geschnitten und musikalisch unterlegt, dass es schon fast grotesk wirkte. Man hätte sich den redaktionellen Eifer an anderer Stelle gewünscht. Stattdessen durften der goldbraun gebrannte Gottschalk, Hund „Flecki“ und Helene Fischer die Zuschauer ins Bett schicken.

Eine Botschaft erlaubte RTL sich dann doch noch, ganz am Ende. Helene Fischer sang den genialen Weihnachtssong „The Power of Love“ der britischen 80er-Jahre-Band „Frankie Goes to Hollywood“. Seichte Träume garantiert.