Köln. Jürgen Domian hört nach 25.000 nächtlichen Telefonaten auf. Der Kultmoderator war Zuhörer für die, denen sonst keiner zuhören wollte.

Am späten Nachmittag wird er am Freitag zum Sender kommen, wird sich vorbereiten, mit den Kollegen sprechen. So wie immer. „Eigentlich“, wünscht sich Jürgen Domian, „soll alles so sein wie immer.“ Wird es aber nicht. Denn Freitagnacht ist Schluss mit der Sendung, die so heißt wie er. Um 0.50 Uhr läuft im WDR die letzte Folge von „Domian“, Deutschlands einziger Nacht-Talkshow. „Natürlich kommt da Wehmut auf“, sagt der 58-Jährige. Aber keine Reue. „Alles hat seine Zeit.“

Und Domians Zeit war lang. Fast 22 Jahre geht er nachts ans Telefon, wenn jemand anruft. Was in jeder Nacht im Schnitt rund 20.000 Menschen sind. Schlaflose, Verzweifelte, Einsame, die von ihren Sorgen und Nöten erzählen wollen, ihre Ängste verraten, manchmal auch nur jemanden suchen, der ihnen zuhört. „Viele Menschen haben offenbar keinen richtig guten Freund, mit dem sie über Probleme sprechen können“, hat der gebürtige Gummersbacher längst festgestellt.

Über Gott und die Welt reden

Mit Domian können sie reden, die Schwerkranken, Suizidgefährdeten und Traumatisierten dieses Landes. Manchmal über Gott, oft über die Welt, vor allem aber über sich selbst. Über ihre Leiden ebenso wie über ungewöhnliche Sexspielchen. Über ihre Vorlieben und ihren Hass. Er hört ihnen zu. Unvoreingenommen, neugierig und mit Interesse, das nie geheuchelt wirkt. Nichts ist inszeniert, es gibt keine Vorgaben und keine Tabus.

Domian hat meist Verständnis, oft einen guten Rat, immer eine Meinung. Er trägt bevorzugt kariertes Hemd zu einfühlsamer Miene. Er ist ein lebender Kummerkasten. Das macht sein Leben manchmal schwierig. Nein, sagt er rückblickend, es gebe nicht die EINE Geschichte, die ihm besonders zu schaffen gemacht habe. „Aber all die Gespräche mit Sterbenden oder Menschen, die Opfer einer schweren Gewalttat geworden sind, die habe ich immer eine ganze Weile mit mir herumgetragen.“

Die Quoten waren gut

Die Quoten sind all die Jahre gut, trotzdem blieb er allein auf weiter Flur mit seinem Konzept, das er vor vielen Jahren bei einer USA-Reise kennengelernt hat. „Es ist mir bis heute ein Rätsel, warum andere Sender nicht eine ähnliche Show gemacht haben.“ Vielleicht aus Furcht vor Kritik. Von Anfang an wird gemeckert, seit dem Siegeszug von Facebook & Co immer mehr. Weil Domian mit Menschen spricht, mit denen im Radio und Fernsehen sonst nicht gesprochen wird. Mit Neo-Nazis, Pädophilen und – wie erboste Zuschauer schimpfen – „anderen Abartigen“.

Mit Anrufern, die die Erde allen Ernstes für eine Scheibe halten oder sich beim Metzger 60 Kilo Mett kaufen, um daraus einen Frauenkörper zu formen, an dem sie sich reiben können. Dafür beschimpfen die Kritiker den Nacht-Talker. Das findet Domian anfangs „schockierend“, mittlerweile aber beachtet er die Hasstiraden im Netz nicht mehr. Sie sind auch nicht der Grund dafür, dass er aufhört. „Ich will einfach weg aus der Nacht“, sagt er. Schon der Gesundheit wegen. „Ich habe zweimal mit Hörsturz moderiert.

Im Januar geht er auf Tour

Jetzt ist wieder alles bestens, aber ich möchte nicht in drei Jahren aus dem Studio getragen werden.“ Davon abgesehen sei es schwierig gewesen, Kontakte zu pflegen, wenn der Tag erst am Nachmittag beginnt und man schlafen geht, kurz bevor die anderen aufstehen. Deshalb will er sich möglichst schnell umstellen, nach der letzten Sendung „einen Tag und eine Nacht wach bleiben“, um wieder in einen normalen Rhythmus zu kommen.

Langeweile ist anschließend nicht zu befürchten. Schon im Januar 2017 geht er auf „Domian redet“-Tour, die ihn unter anderem nach Gelsenkirchen, Dortmund, Duisburg, Oberhausen und Düsseldorf führen wird.

Menschen von der Straße

Dabei will er dem Publikum Geschichten aus seinen über 25.000 Telefonaten erzählen. Und auch anschließend soll weitergeredet werden. Wo und wie ist noch nicht ganz klar, dass er lieber Menschen von der Straße als Prominente zu Gast haben möchte, schon. „No Name-Talkshows sind die Zukunft“, glaubt Domian. Nur am Telefon quatschen, das will er nicht mehr. „Ich möchte“, sagt er, „meinen Gesprächspartnern endlich auch ins Gesicht sehen können.“