Thomas Stuber hat „Die Stillen Trabanten“ von Clemens Meyers kongenial verfilmt. Mit großem Staraufgebot – und großen Momenten.

Es sind Zufallsbegegnungen. Christa (Martina Gedeck), die Reinigungskraft bei der Bahn, sitzt wie jeden Abend in einer Kneipe und versucht bei einem Schnaps, ihre triste Arbeit herunterzuspülen. Jens (Albrecht Schuch), der Imbissbesitzer, steht nachts rauchend auf einem Austritt seines Plattenbaus hoch über der Stadt, weil da mehr Leben ist als in seiner Wohnung.

Und Erik (Charly Hübner), der Mann von der Security, zieht müde seine nächtlichen Runden um das Flüchtlingswohnheim, das er zu bewachen hat. Drei einsame Menschen, die keinen haben, auf die niemand wartet. Die stoisch ihrer Arbeit nachgehen. Und nicht wissen, was sie mit ihrer Freizeit anfangen sollen.

„Die stillen Trabanten“: Neue Gefühle in verkrusteten Herzen

Aber dann ist da plötzlich ein anderer, fremder Mensch in ihrer Nische, der genauso verloren scheint. In der Kneipe hockt sich die Frisörin Brigitt (Nastassja Kinski) neben Christa, um mit ihr ein Sektchen zu trinken. Auf dem Raucherbalkon steht eines Abends die zum Islam konvertierte Aischa (Lilith Stangenberg), die ebenfalls der Enge ihrer Wohnung entflieht. Und im Areal, das Erik zu bewachen hat, sitzt plötzlich die ukrainische Flüchtige Marika (Irina Starshenbaum) auf einer Schaukel.

Kurze Begegnungen, erste, stille Kontaktnahmen, die sich wiederholen werden, vorsichtige Annäherungen. Die den Ausgestoßenen, Abgestumpften plötzlich neue Impulse geben. Und eine zarte Hoffnung aufkeimt, dass es da in dieser großen Leere des Lebens doch noch Platz für jemand anderen geben könnte.

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Aber wie soll das gehen? Aischa ist die Frau des Müllmannes, mit dem Jens im Imbiss Freundschaft geschlossen hat. Marika treibt sich nachts auf dem Areal herum, obwohl sie da nicht sein darf. Und Christa fühlt sich plötzlich zu einer anderen Frau hingezogen, ein Gefühl, das sie noch nicht gehabt hat und das ihr auch Angst macht.

„Die stillen Trabanten“ ist ein Episodenfilm nach dem gleichnamigen Buch von Clemens Meyer, in dem der Meister der Kurzgeschichten „Geschichten aus der Nacht“ erzählt. Und verfilmt hat sie Thomas Stuber, der mit Meyer schon viele Filme zusammen entwickelt hat.

Thomas Stuber und Clemens Meyer: Ein kongeniales Team

Da war „Herbert“, die Studie über den tiefen Falles eines Ex-Boxers, für die Peter Kurth 2016 die Lola als bester Darsteller gewann. Da war „In den Gängen“, eine zarte Liebesgeschichte von Nachtarbeitern in einem abgelegenen Großmarkt, der 2018 auf der Berlinale für Furore sorgte. Und da war auch der Jubiläums-„Polizeiruf 110“ aus Halle, „An der Saale hellem Strande“, dem bislang leider kein zweiter Fall folgte.

All diese Filme eint der Blick auf eine Schicht und eine Region, die sonst kaum vorkommt im deutschen Kino. Auf das Brachland des Ostens. Auf die Postwende-Landschaft. Und auf die Verlierer und Abgehängten, die Überholten und Übersehenen, die ein Leben zwischen Alltagstrott und Stumpfsinn fristen. Und dieser bitteren Realität doch einen Glücksmoment abtrotzen wollen. Aber immer nur am Rande der Nacht, unter dem schützenden Mantel der Dunkelheit.

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Auf dem Raucherbalkon seines Plattenbaus, hoch über der Stadt, begegnet Jens (Albrecht Schuch) der geheimnisvollen Aischa (Lilith Stangenberg).
Auf dem Raucherbalkon seines Plattenbaus, hoch über der Stadt, begegnet Jens (Albrecht Schuch) der geheimnisvollen Aischa (Lilith Stangenberg). © Warner Bros

Meyer ist hauptsächlich Buchautor und auch schon von anderen verfilmt worden: Seinen Roman „Als wir träumten“ adaptierte Andreas Dresen. Auch Stuber arbeitet zuweilen mit anderen Autoren, bei der Lutz-Seiler-Adaption „Kruso“ etwa oder der Serie „Hausen“. Aber am stärksten, am aufwühlendsten sind doch immer ihre gemeinsamen Arbeiten.

Seit sie sich vor zehn Jahren beim Kurzfilm „Von Hunden und Pferden“ zusammentaten, sind sie ein kongeniales Team, das zusammen eine eigene Filmwelt kreiert. Immer in der ostdeutschen Provinz. Oder auch mal, wie hier, in Leipzig, dann aber an traurigen, öden Orten. Wie der Plattenbau. Der trostlose Imbiss, in dem wie zum Hohn ein roter Teppich ausgelegt wurde. Und so leer und abweisend wie hier hat man den Leipziger Hauptbahnhof noch nie gesehen.

Lauter Komplizen und Weggefährten aus früheren Filmen

Wie als Komplizen hat der Regisseur dabei die Protagonisten seiner früheren Filme engagiert. Allen voran Peter Kurth, der Star fast aller Stuber-Meyer-Produktionen, der auch hier einen Gastauftritt hat, als Chef einer Putzkolonne. Aber auch Albrecht Schuch, der Stubers Kruso war, und Charly Hübner, der in „Hausen“ mitspielte.

Neu in diesem ganz speziellen Kinouniversum aber ist Martina Gedeck, die noch nie so müde und abgekämpft zu sehen war wie hier als Reinigungskraft. Und Nastassja Kinski, die seit dem Wenders-FIlm „In weiter Ferne, so nah“ in keinem deutschen Kinofilm mehr zu sehen war. Und das ist immerhin fast 30 Jahre her!

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„Ich kenne Sie gar nicht, aber Sie berühren mich“: Der Wachmann Erik (Charly Hübner) begegnet der ukrainischen Geflüchteten Marika (Irina Starshenbaum).
„Ich kenne Sie gar nicht, aber Sie berühren mich“: Der Wachmann Erik (Charly Hübner) begegnet der ukrainischen Geflüchteten Marika (Irina Starshenbaum). © Warner Bros

Neben dem genauen, ungeschönten, aber doch immer empathischen Blick auf die real existierenden Verhältnisse im Osten des Landes tut sich hier noch ein weiterer Themenkomplex auf. Die Flüchtlingskrise von 2015 hat sich in den Erzählband miteingeschrieben, ja eingebrannt. Zu Beginn des Films stößt eine Putzkolonne da auf eine Schar von Flüchtlingen, die den Tod eines Kindes beklagt. Und dass die Geflüchtete aus dem Osten, in die Erik sich verliebt, im Film eine Ukrainerin ist, macht ihn noch einmal aktueller.

Und mit dem zarten Frauenpaar kommt noch ein ganz anderer Ton hinzu. Auch lesbische Geschichten werden allzu selten erzählt im deutschen Film, schon gar nicht von Frauen, die die 60 überschritten haben. Diese hier ist eine der schönsten Liebesgeschichten seit langem.

Man fühlt und bangt mit diesen gebeutelten und gebrochenen Figuren

Drei leise Begegnungen. Drei zarte Hoffnungsschimmer. Da gilt es viele Seelenverhärtungen und Vorurteile zu überwinden. Zwischen diesen Ausgestoßen, Ausgegrenzten steht eine ganze Welt, oft symbolisiert durch Gitter, wie der Absperrzaun, durch den Erik und Irina miteinander sprechen. Oder den Schutzdraht auf dem Raucherbalkon. Eine der traurigsten Glücksmomente ist der, wenn Erik nach der ersten Begegnung an einer Containerwand lehnend onaniert.

Es gibt aber auch einen ganz poetischen Moment, wenn Jens Aischa die Lichter der anderen Hochhäuser zeigt – die titelgebenden Trabanten. Lichtpunkte, die sich in der Ferne berühren - das wird zur sinnigen Metapher dieses Episodenfilms. Man fühlt mit diesen gebeutelten und gebrochenen Figuren, wünscht sich, dass ihnen die Flucht aus der eigenen Vereisung gelingt. Und bangt doch stets, dass dies scheitern muss. Ein feiner, stiller Film, der von kleinen Existenzen, aber von großen Gefühlen erzählt. Und dabei auch ganz große Themen und Konflikte verhandelt.

Episodendrama D 2022 120 min., von Thomas Stuber, mit Martina Gedeck, Nastassja Kinski, Albrecht Schuch, Lilith Stangenberg, Charly Hübner, Irina Starsehnbaum, Peter Kurth.