Berlin. „Ziemlich befremdlich“, fand die Ökonomin Philippa Sigl-Glöckner einen der letzten Auftritte von Friedrich Merz beim politischen Frühschoppen auf dem Gillamoos-Volksfest im Niederbayern. Dort hatte Merz seine Vorstellungen von Deutschland mit folgendem Satz erklärt: „Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland, meine Damen und Herren.“
Ein Satz, der ihm einige Kritik einbrachte und der auch Sigl-Glöckner aufhorchen ließ. Sie selbst komme auch aus Bayern, erklärte sie am Donnerstagabend bei Markus Lanz, das sei jedoch nicht ihre einzige Identität. „So einen Unterschied aufzumachen, alleine schon für Bayern, finde ich komisch.“
Lesen Sie den Kommentar dazu: Friedrich Merz muss erkennen: Kreuzberg ist überall
„Markus Lanz“ – Das waren die Gäste:
- Thorsten Frei, CDU-Politiker
- Michael Bröcker, "The Pioneer"-Chefredakteur
- Philippa Sigl-Glöckner, Ökonomin
- Judith Kohlenberger, Migrationsexpertin
Migrationsforscherin: Merz will nur polarisieren
Um Licht ins Dunkel und in die Aussage von Merz zu bringen, hatte sich Lanz schlauerweise dessen rechte Hand Thorsten Frei eingeladen. Auf Lanz’ verwirrtes „Warum macht er das?“, erklärte der CDU-Politiker: Im Kern meine Merz, dass man Deutschland eben nicht ausschließlich aus den Metropolen herausdenken dürfe. Dort werde aktuell über die Legalisierung von Cannabis diskutiert, dabei müsste es um „die Themen gehen, die die breite, arbeitende Mitte als Herausforderung begreift, dafür brauchen wir Lösungen.“
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Dass die arbeitende Mitte auch in Kreuzberg lebt, ließ er links liegen. Kritischer sah es der Journalist Michael Bröcker. Er attestierte Merz ein großes Politikdefizit: „Er kann nicht kommunizieren. Warum muss er bei jedem Auftritt jemanden ausgrenzen?“ Die Sprache des Politikers erinnere eher an eine Wirtschaftsrunde hinter geschlossenen Türen.
Die österreichische Migrationsforscherin Judith Kohlenberger meinte in dem Verhalten von Merz ein altes Spiel zu erkennen: Wir und die anderen. Dabei gehe es darum, Konfliktlinien zu ziehen, wo eigentlich gar keine notwendig sind. Das Ziel: polarisieren.
Thorsten Frei verteidigt umstrittenen Vorschlag zum Asylrecht
Doch nicht nur Merz hatte in der vergangenen Woche mit seinen Aussagen (mal wieder) für Aufregung gesorgt, auch Thorsten Frei musste laut Markus Lanz von manchen „Prügel einstecken“. Grund dafür war seine Forderung, das individuelle Recht auf Asyl abzuschaffen. Damit wäre eine Antragstellung auf Asyl auf europäischem Boden nicht mehr möglich.
Stattdessen solle Europa jährlich ein Kontingent von 300.000 bis 400.000 Schutzbedürftigen aus dem Ausland aufnehmen, um sie auf die europäischen Länder zu verteilen. Zur Einordnung: Bereits im ersten Halbjahr wurden in Europa mehr als 500.000 Asylanträge eingereicht.
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Frei argumentierte, dass das geltende Asylrecht eine inhumane Sanktion ausführe: „Zu uns kommen nicht die, die am schutzbedürftigsten sind, sondern die, die jung, kräftig, gesund und leistungsfähig genug sind, um kriminelle Schlepper zu bezahlen.“
Expertin kritisiert Vorschlag zum individuellen Asylrecht
Gegenwind bekam Frei – zumindest für bestimmte Ansätze seines Vorschlags – von der Migrationsforscherin Kohlenberger. An sich sei die Problemanalyse von Frei korrekt, betonte sie. „Wer es sich leisten kann, kann kommen. Die Ärmsten der Armen sind mit dem geltenden Asylrecht stuck in place.“
Allerdings sei es deshalb nicht die Lösung, das Asylrecht, das unter anderem im Völkerrecht verankert ist, abzuschaffen. Ihr Vorschlag: „Wir brauchen mehr legale Zugangswege“, erklärte sie. Dabei könnten auch Kontingente eine Rolle spielen, zusätzlich zu anderen Lösungen wie etwa einer Entwirrung des Asylsystems, um Arbeits- und Fluchtmigranten besser zu unterscheiden.
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Gleichzeitig kritisierte sie, dass sich Frei bei seinem Vorschlag lediglich auf die aktuelle Situation in Europa konzentriere: „90 Prozent aller Geflüchteten weltweit finden nicht in Industriestaaten Zuflucht, sondern in Entwicklungs- und Schwellenländern.“ Was würde es für sie bedeuten, wenn Europa das Asylrecht abschaffe? Sollte es tatsächlich so weit kommen, fürchtet sie eine „Kettenreaktion, die fatale Folgen hätte für den globalen Flüchtlingsschutz.“
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Woraufhin Frei erwiderte, dass auch deutsche Städte bereits an die Grenzen ihrer Belastbarkeit kämen. „Bei uns fehlen 700.000 Wohnungen. Bei uns fehlen 400.000 Kitaplätze. 25.000 Lehrerstellen sind nicht besetzt. Eine Situation, wo wir eine Infrastruktur hätten, die beliebig anpassbar wäre, haben wir definitiv nicht."
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