Berlin. Wer hätte gedacht, dass eine Talkshow mit einem Verhör verglichen wird? Markus Lanz bestimmt nicht. So begann die mediale Hetzjagd.

Am 27. Januar 2014 veröffentlichte "Der Postillion" unter der Überschrift "Unglaublich! Petition gegen Lanz hat nach jedem Medienbericht über ihren Erfolg mehr Erfolg" folgenden kurzen Text:

"Journalisten im ganzen Land sind völlig aus dem Häuschen, weil eine Online-Petition mit dem Titel 'Raus mit Markus Lanz aus meinem Rundfunkbeitrag!' nach jedem Medienbericht eine noch größere Zahl an Unterzeichnern aufweist als zuvor. (…) Inzwischen steht der Zähler der Petition schon bei 225.000. 'Es ist unglaublich!', staunt Redakteur Stefan W. vom Onlinebranchendienst "Meedia". 'Die Petition auf "openpetition.de" hatte gerade einmal 7500 Unterstützer, als ich den Artikel 'Online- Petition gegen Markus Lanz' mit Link auf die Petition verfasst habe.' Noch am selben Tag berichtete "focus.de" in einem Artikel mit Link auf die Petition von 9000 Unterschriften, der "Kölner Express" vermeldete wiederum, dass sich bereits 12.000 Personen an der Petition beteiligten. (…)

Weitere Zahlen lieferten an den Folgetagen neben vielen anderen "ProSieben" (27.000), "Epoch Times" (50.000), "Süddeutsche Zeitung" (80.000) und "Spiegel Online" (130.000). (…) Angesichts der Tatsache, dass die Anti-Lanz-Petition auch nach über 1000 gut verlinkten Medienberichten stetiges Wachstum verzeichnen kann, planen die großen Medienhäuser Deutschlands die Einrichtung eines gemeinsamen Rechercheteams. Aufgabe der erfahrenen Medienjournalisten soll es sein, die Hintergründe des großen Erfolgs der Petition zu erforschen und in einer längeren Artikelserie zu dokumentieren."

Markus Lanz: Sendung von 2014 stark kritisiert

Wenn ein Satireportal sich über die Medien lustig macht, die sich über Markus Lanz lustig machen, weiß man, dass etwas falsch läuft. Oder, um es mit Josef Joffé, einem der Herausgeber der Zeit zu sagen: "Markus Lanz hat ein unprofessionelles, ja nervendes Interview mit der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht geführt, das – sagen wir’s so – der Wahrheitsfindung nicht gedient hat. Doch der eigentliche Skandal ist der Shitstorm, der nachdenkliche Menschen in die Depression treiben müsste (…) In analogen Zeiten hieß es: 'Kauft nicht beim Juden!' Heute ist die Verwünschungskultur digital."

Was war passiert? Mitte Januar 2014 hatte Markus Lanz in seiner Sendung Sahra Wagenknecht und den "Stern"-Journalisten Hans-Ulrich Jörges zu Gast, dazu noch Moritz Bleibtreu und den Lindenstraßen-Star Christian Kahrmann, aber die beiden Schauspieler interessierten damals keinen. "Frau Wagenknecht, schön, dass Sie da sind. Wie läuft es im neuen Bundestag?", begann Lanz ein Gespräch, das fast 30 Minuten dauern und ziemlich ausufern sollte. Was allerdings weniger am Gastgeber als an seinem Journalistenkollegen liegen sollte. "Ich bin wahnsinnig heftig gewesen", sagt Hans-Ulrich Jörges.

Lanz fragte dagegen 2014 ähnlich, wie er es acht Jahre später in seinen rein politischen und von der Kritik gefeierten Runden tun sollte. "Wenn man sich die Sendung heute anschaut, wundert man sich, worüber sich die Leute damals so aufgeregt haben", sagt Markus Heidemanns, Lanz' Geschäftspartner und Chefredakteur.

Ja, der Moderator war noch nicht so gefestigt und souverän wie 2022 und er hat es versäumt, Sahra Wagenknecht vor den lautstarken Attacken von Jörges in Schutz zu nehmen, einmal weist er sie sogar zurecht, sie möge den Journalisten ausreden lassen. So konnte der Eindruck entstehen, dass sich zwei Männer gegen eine Frau verschworen hatten, "dabei hatten Markus Lanz und ich uns nicht verabredet, sondern sind jeder auf seine Weise naiv in die Sendung hineingegangen", sagt Jörges. "Die Wirkung auf das Publikum war trotzdem verheerend."

Lanz' Kommunikationstechnik wird ihm zum Verhängnis

Das Publikum, das war an diesem Abend vor allem Maren Müller. Die Betriebswirtin aus Leipzig, ehemaliges Mitglied der Linken- Partei, gehörte 2014 zu denjenigen, die Markus Lanz "eigentlich gern gesehen" haben. Doch über sein "Verhör" mit Wagenknecht, über dieses "ewige Nachhaken und Unterbrechen" habe sie sich so aufgeregt, dass sie nach der Sendung nicht habe einschlafen können.

"Was Lanz und Jörges gemacht haben, sah aus wie abgesprochen. Sahra Wagenknecht hatte nicht die Chance zu antworten", sagt Müller. Sie setzte sich an den Computer und hackte eine Online-Petition mit der Überschrift "Raus mit Markus Lanz aus meinem Rundfunkbeitrag!" herunter. Danach ging es ihr besser, Müller ist ein impulsiver Mensch, ihre Wut verflog fast so schnell, wie sie gekommen war. Die Petition im Internet blieb:

"Die Sendung Markus Lanz vom 16. Januar 2014 zeigte zum wiederholten Mal, dass Herr Lanz weder fähig noch willens ist, seinen Gästen gleichberechtigt Wohlwollen, Rederecht und Anstand entgegenzubringen. Ein Moderator, der offenbar große Probleme damit hat, dem politischen Spektrum links von der Mitte mit einem Mindestmaß an Höflichkeit zu begegnen, passt nicht in ein öffentlich-rechtliches Format. Der im expliziten Fall miserable Stil im Umgang mit Sahra Wagenknecht spiegelt in drastischem Maße wider, dass politische Neutralität für Lanz ein Fremdwort ist. Der Bildungsauftrag sowie die Wahrung der politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit wird durch die von Lanz demonstrierte tendenziöse Diskussionskultur grob vernachlässigt. Unzählige empörte Tweets zeigten bereits während der Sendung, dass viele Zuschauer es leid sind, von einem notorisch peinlichen Moderator durch diverse Sendeformate im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (in dem Falle ZDF) geführt zu werden.

Ein Moderator, der nicht fähig ist, ohne Entgleisungen zu moderieren, den Offenheit und der Umgang mit abweichenden Meinungen offenbar überfordern, der Fragen stellt und die Antworten nicht hören will und der seine eigene Meinung stets über die seiner Gäste stellt, sollte nicht vom Beitragszahler alimentiert werden. Ich fordere das ZDF daher auf, sich von Markus Lanz zu trennen. Vielen Dank für Ihre Unterstützung."

Anti-Lanz-Petition führt zur medialen Hetzjagd

Maren Müller hatte mit ein paar Hundert Unterstützerinnen und Unterstützern gerechnet, aber niemals damit, was tatsächlich passierte, nachdem sie, eine einzelne, unbekannte TV-Zuschauerin, ihrem Ärger Luft gemacht hatte. "Damals hatten sich die Medien auf Markus Lanz eingeschossen, die hatten den auf dem Kieker", sagt sie. Die Petition sei ein willkommener Anlass gewesen, "den Moderator fertigzumachen", die Stimmung gegen ihn sei endgültig gekippt, "das war eine Hetzjagd, die wollten ihn in Grund und Boden ätzen".

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier schrieb: "Markus Lanz. Das ist der Mann, den das ZDF, ein öffentlich-rechtlicher Sender, regelmäßig außerhalb des Kinderprogramms über Politik diskutieren lässt. Ein Mann, für den sich die Debatte um die richtige Europapolitik auf die Frage reduzieren lässt: Europa – ja oder nein. Ein Mann, für den sich die Debatte um die richtige Euro-Politik auf die Frage reduzieren lässt: Euro – rein oder raus. Und ein Mann, der dann wütend wird, wenn sich jemand nicht zu ihm in den Sandkasten knien will, um auf seinem Niveau zu diskutieren."

Lanz: Symbol für schlechte Unterhaltung?

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen erklärte im Tagesspiegel: "Lanz ist zur prominenten Symbolfigur geworden. Er steht für ein Flachland-Entertainment, das man eher bei den Privaten erwarten würde und nicht bezahlen will. Aus meiner Sicht ist die Anti-Lanz-Petition eigentlich ein doppelter Protest. Zum einen wird deutlich, dass die Debatte über Rundfunkgebühren keineswegs abgeschlossen ist und es eine gesellschaftliche Unzufriedenheit gibt, die nun am konkreten Fall aufflackert. Zum anderen ist der Unmut Ausdruck einer allgemeinen Inszenierungs- und Medienverdrossenheit. In der Wut auf den gebeutelten, gewiss erschütterten Moderator wird eine Art Inszenierungsekel greifbar: Mit einem derart schlecht geschauspielerten Politikinteresse, einem so fröhlich-kenntnisfreien Fragestil und einer so offensichtlichen Gier nach Aufmerksamkeit möchte man sich nicht konfrontiert sehen."

Beim ZDF begann man ob solcher Worte unruhig zu werden, bis dahin hatte man dort nicht erlebt, dass sich "das Erregungspotenzial so Bahn gebrochen hat". Tagelang überlegten die Verantwortlichen, ob Lanz sich für seine Gesprächsführung entschuldigen müsse, am Ende tat er das über den Mediendienst DWDL: "Wenn das energische Nachfragen zu rustikal und sogar persönlich war, dann bedaure ich das. Allein durch die Konstellation – also eine Frau gegen zwei Männer – entstand zwangsläufig der Eindruck: Das ist jetzt unfair. Weil aber Frau Wagenknecht jemand ist, der sich sehr kraftvoll wehren kann und das auch tat, habe ich das in diesem Moment nicht so eingeschätzt. Mein Fehler."

DWDL-Chefredakteur Thomas Lückerath notierte: "Ich gebe zu: Ich habe den Knall nicht gehört. Irgendwann in den letzten anderthalb Jahren muss es aber passiert sein. Irgendwann in dieser Zeit scheint Markus Lanz zum Abschuss freigegeben worden zu sein."

Wagenknecht findet die Hetz-Kampagne unangemessen

Das sah interessanterweise auch die Frau so, die im Mittelpunkt der Debatte stand. Das Gespräch mit Lanz und Jörges sei zwar aus dem Ruder gelaufen, "ich bin nicht zufrieden aus der Sendung gegangen", sagt Sahra Wagenknecht. Aber die große Aufregung darum, die Anfeindungen gegen Markus Lanz habe sie überhaupt nicht verstanden: "Ich glaube, da spielten auch andere Dinge eine Rolle. Irgendwie kam das in so eine Stimmungslage rein, es war eine öffentliche Kampagne gegen Lanz, die ich nicht angemessen fand. Ich habe mich über die extreme Dynamik damals gewundert."

Sahra Wagenknecht ist bis heute häufig Gast bei Markus Lanz, wo Politikerinnen und Politiker aller Couleur inzwischen deutlich härter attackiert werden, als sie es damals wurde. "Markus Lanz ist nicht so erwartbar, nicht so rollenmustermäßig wie andere Talkshows", sagt die Linke, und dass sie Sendungen hasse, "in denen sich sieben Leute in 60 Minuten drängeln". Sie gehe nicht nur gern zu Lanz, sie sehe ihm auch seit 2020 deutlich häufiger zu, "aus Interesse, obwohl ich eigentlich keine klassische Talkshow-Guckerin bin".

Markus Lanz: Erst unseriös und nun "eloquent"

Maren Müller hat den Verein Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien gegründet, der inzwischen überlegt habe, "Markus Lanz einen Publikumspreis zu verleihen: Er hat ziemlich an Qualität gewonnen, die Fragetechnik hat sich sehr verbessert. Er ist ein eloquenter Mann und eine Ausnahme im deutschen Fernsehen", sagt die einstige Kritikerin, die heute eher mal bei Anne Will "auf 180" sei: "Mich ärgert, dass Gäste dort Dinge äußern können, die unwidersprochen bleiben. Man kann doch von den Leuten, die eine Talkshow leiten, erwarten, dass sie im Stoff sind."

Hans-Ulrich Jörges sagt, dass Markus Lanz schon im Gespräch mit Sahra Wagenknecht gezeigt habe, "dass er auch anders kann" und seine Sendung eine Plattform für politische Debatten werden könne: "Ein Mensch, der über viele Jahre kleingeredet wird, entwickelt genau dadurch den Ehrgeiz, es seinen Kritikern zu zeigen. Insofern ist der Talk mit Sahra Wagenknecht das Samenkorn gewesen, aus dem die heutige Form seiner Talkshow gewachsen ist."

Doch 2014 konnte davon keine Rede sein, im Gegenteil. In der Hamburger Redaktion fürchteten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um ihre Arbeitsplätze und Markus Lanz muss sich an eine Zeit erinnert haben, in der er schon einmal das Gefühl hatte, dass alle auf ihn herabsehen. "Die Scham aus der Kindheit und Jugend kam wieder hoch", sagt einer, der ihn lange und gut kennt. "Er war wieder der Tanzbär, der ausgelacht wurde." Das alte Trauma war zurück.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de