Hamburg. Nach 16 Jahren verlässt Barbara Hans den “Spiegel“. Warum der Gesamt-Chefredakteur Steffen Klusmann nun unter Zugzwang gerät.

Dass die für Digitales zuständige Chefredakteurin das Nachrichtenmagazin über kurz oder lang verlässt, stand für Insider schon seit Januar fest. Ausgerechnet am Tag ihres 40. Geburtstags teilte der Verlag nach monatelangem Schweigen mit: "Barbara Hans verlässt den Spiegel."

Zum Abschied überbieten sich die Beteiligten geradezu in gegenseitiger Wertschätzung und Superlativen über das gemeinsam Erreichte. Die Trennung erfolge im "besten gegenseitigen Einvernehmen", heißt es in der Pressemitteilung, das Haus habe Hans "viel zu verdanken und wird sie vermissen". Geschäftsführer Thomas Hass lobt ihr "großes Engagement", die scheidende Chefredakteurin habe "dieses Haus, wie es heute dasteht, mitgeprägt".

Barbara Hans bedankt sich im Gegenzug bei den "Kolleginnen und Kollegen für einen Journalismus, der so erfolgreich ist wie nie zuvor, für Reichweiten- und Plusrekorde". Es sei für sie ein "Privileg" gewesen, "den Spiegel publizistisch weiterzuentwickeln".

Mit Abgang von Barbara Hans wurde gerechnet

Wer die euphorischen Zeilen liest, könnte glatt den Eindruck gewinnen, dass übergroßer Erfolg ein absolut nachvollziehbarer Grund für den Abgang einer Führungskraft nach nur gut zwei Jahren an der Spitze der fusionierten Spiegel-Redaktion wäre. Was natürlich nicht stimmt, wenn man die Hintergründe der Personalie betrachtet. So märchenhaft, wie es in der Verlagsmitteilung anmutet, war das Verhältnis der Chefredakteure untereinander wohl zu keinem Zeitpunkt.

Mit dem Ausscheiden im Einvernehmen hatten Medienbeobachter schon viel früher gerechnet, aber offensichtlich konnten sich die Parteien über die Einzelheiten einer Auflösungsvereinbarung lange nicht einig werden. Die Hängepartie ist beendet, was alle Beteiligten mit Erleichterung aufgenommen haben dürften.

Die Zukunft der einstigen "Spiegel"-Hoffnungsträgerin Barbara Hans ist derzeit ungewiss. Die Journalistin steht dabei sicherlich nicht unter Druck, nach 16 Jahren beim "Spiegel" und als Mitglied der dreiköpfigen Chefredaktion war eine einvernehmliche Vertragsauflösung für den Verlag nur gegen Zahlung einer hohen Abfindungssumme zu erkaufen. Nun geht man also getrennte Wege.

Personalie voller Widersprüche

Zurück bleibt die Geschichte eines unangekündigten Scheiterns und einer Personalie voller Widersprüche. Denn nach der Papierform brachte die promovierte Politologin alles mit, was im Beuteschema der Verlagsverantwortlichen für die Zukunft des Nachrichtenmagazins liegt: Sie war jung, digital und schon mit 33 Vize-Chefin bei „Spiegel Online“.

Sie hatte dort volontiert und war, an der Magazin-Spitze ein Novum, die erste Frau in der inzwischen gemeinsamen Chefredaktion für Print und Digitales. In der Redaktion war es nach der Installation des Trios, zu dem mit Clemens Höges ein altgedienter Printkollege noch Steffen Klusmann als Vorsitzender der Chefredakteure zählt, bald ein offenes Geheimnis: Hier stimmt die Chemie nicht.

Vor allem Klusmann galt als treibende Kraft einer Neubesetzung in der Digitalsparte. Der ehemalige Blattmacher von „Manager Magazin“ und „Financial Times Deutschland“ – beim „Spiegel“ selbst erst seit zweieinhalb Jahren im Topjob – setzte die Personalie gegen lautstarken Protest von Mitarbeitern aus der Online-Abteilung durch. Was genau ihn dazu bewog, ist bis heute unklar.

Wie so oft steht Aussage gegen Aussage

Die im Umfeld des Magazins häufig zu hörende Lesart, wonach die Digitalchefredakteurin nach einer Elternzeit „keine Bindung“ zu ihrer neuen Rolle in der fusionierten Redaktion gefunden habe, kann ohne weitere Erklärung kaum überzeugen. Andere Stimmen behaupten, sie sei in ihrer Abwesenheit bewusst übergangen und später ausgegrenzt worden.

Wie so oft steht Aussage gegen Aussage, und am Ende könnte die Entscheidung aus Sicht des „Spiegel“ sowohl richtig als auch falsch sein. Richtig, weil das Zusammenspiel mit Hans einfach nicht wie erhofft funktionierte und gleichzeitig gefährlich, weil das Signal nach innen wie außen in die falsche Richtung geht: Wieder einmal hat die Magazin-Fraktion gewonnen, verliert eine Frau ihre Macht, während die Männer sie behalten.

Glücklich sind die Verantwortlichen beim "Spiegel" damit nicht. Dass die Ablösung von Hans auch an höherer Stelle widerspruchslos hingenommen wurde, hat juristische Gründe: Trotz ihres Chefredakteurs-Titels war Hans arbeitsrechtlich Klusmann unterstellt – und damit kein Fall für die "Spiegel"-Gesellschafter.

Auf Klusmann lastet jetzt der Druck, zeitnah eine überzeugende Nachfolgeregelung zu präsentieren. Weder der Chefredakteur noch der Verlag haben sich bislang dazu geäußert, ob es eine Neubesetzung der Stelle geben wird. Der personelle Spielraum dabei scheint angesichts der Sensibilitäten in Redaktion wie Branche gering.

„Das Bewerberprofil wäre doch klar: weiblich, jung und digital“, so ein Beteiligter. Dem Vernehmen nach plant Klusmann allerdings einen größeren Umbau mit bis zu sieben Verantwortlichen in einer dann erweiterten Chefredaktion. Ob dabei überhaupt externe Kandidaten berücksichtigt werden, ist offen. Der Chefredakteur hat sich hierzu auf Anfrage bislang nicht geäußert.