Berlin. Am Sonntag läuft der neue “Polizeiruf 110“ im Ersten. In “Sabine“ geht es um soziale Ungleichheiten, die vor allem Frauen betreffen.

Armut betrifft in Deutschland vor allem alleinerziehende Mütter. Ihr aus eigener Kraft zu entkommen, ist kaum möglich: Eindrücklich zeigt das „Polizeiruf 110: Sabine“.

Dass das Leben nicht fair ist, erfährt Sabine (Luise Heyer) auf drastische Weise. Ihr droht der Jobverlust, weil die Arunia-Werft vor dem Aus steht. Verzweifelt meldet Sabine sich beim Arbeitsamt zur Jobsuche. Geht nicht, sagt man ihr. Dafür müsse sie erst die Kündigung in der Tasche haben. Aber auch dann sollte sie sich keine großen Hoffnungen machen.

Hartz IV und Armut: "Polizeiruf 110: Sabine"

Sabine bemüht sich daraufhin um einen Kredit bei ihrer Bank. Vergeblich. Schließlich erklärt die Lehrerin von Sabines elfjährigem Sohn Jonas noch, dass sie dem Jungen trotz guter Noten keine Empfehlung für das Gymnasium gibt – weil Sabine ihn nicht so unterstützen könnte, wie es nötig wäre. Immer wieder wird Sabine klar gemacht, dass ihr Platz am unteren Ende der sozialen Leiter ist. Es geht Schlag auf Schlag. Bis ihr die Sicherungen durchbrennen und sie zur Waffe greift.

Zeitgleich versuchen die Rostocker Kommissare Kathrin König (Anneke Kim Sarnau) und Alexander Bukow (Charly Hübner), sich mit ihrer noch taufrischen Beziehung zu arrangieren. Bukow muss außerdem mit dem Tod seines Vaters und dem plötzlichen Auftauchen seiner Halbschwester Melly zurechtkommen. Die wird übrigens von Lina Beckmann gespielt – Charly Hübners Ehefrau.

Kommissar Alexander Bukow (Charly Hübner) muss sich in
Kommissar Alexander Bukow (Charly Hübner) muss sich in "Polizeiruf 110: Sabine" seinen Gefühlen stellen. © NDR/Christine Schroeder | NDR/Christine Schroeder

"Polizeiruf 110: Sabine": 30 Minuten bis zum Mord

Ein Mord lässt lange auf sich warten. Stattdessen gelingt dem „Polizeiruf“ unter der Regie von Stefan Schaller 30 Minuten lang das eindringliche Psychogramm einer Frau, die langsam durchdreht. Sabine ist für alle unsichtbar. Niemand will ihr helfen.

Kurz davor, Selbstmord zu begehen, hört sie, wie der betrunkene Typ nebenan wieder mal seine Frau verprügelt. Dabei zerbricht etwas in Sabine. Sie rastet aus und erschießt ihren Nachbar. Eine befreiende Tat für Sabine, die ab sofort jedem eine Kugel verpasst, der sich gegen sie stellt. Luise Heyer versteht es auf sensationelle Weise, ihre Wandlung von der schüchternen Kellnerin zur Serienmörderin sichtbar und glaubwürdig zu machen.

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Zugespitzte Realität im Sonntagskrimi

Natürlich beschreibt Drehbuchautor Florian Oeller eine zugespitzte Realität, bleibt aber ungemein authentisch. Eine Figur wie Sabine Brenner, könnte es auch im wahren Leben geben. Eine alleinerziehende Mutter, die kämpft, damit sie sich und ihr Kind durchbringen kann. Trotz Fulltime-Job ist ihr Lohn mickrig, liegt unter dem Existenzminimum. Deshalb ist Sabine Aufstockerin: Sie erhält zusätzlich zu ihrem Lohn noch Arbeitslosengeld II. Das Geld reicht trotzdem nicht.

Nach den aktuellen Statistiken der Bundesagentur für Arbeit vom Februar 2021 liegt der Anteil der Hartz IV Aufstocker bei knapp über 24 Prozent. Sozial-Verbände reden dabei von staatlich subventionierten Billiglöhnen. Aus ihrer Sicht werden die aufstockenden Leistungen von Arbeitgebern ausgenutzt.

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"Polizeiruf 110: Sabine": Billiglöhne in der Werft

In Sabines Fall trifft das definitiv zu. Im „Polizeiruf“ stand die fiktive Arunia-Werft schon einmal vor der Schließung. Seither arbeiten die Arbeitnehmer länger – für weniger Lohn. Dafür hatte versprochen, ihre Jobs zu erhalten. Ein ohnehin schon mieser Deal, der den Arbeitern nun um die Ohren fliegt. Der ehrgeizige Manager Paul Lettcke (Lucas Prisor) will die Werft nämlich trotz voller Auftragsbücher dicht machen, weil das seine Karrierechancen erhöht.

Die Schließung von Werften ist seit langem ein Thema in Mecklenburg-Vorpommern So wurde erst im Februar eine drohende Insolvenz der MV-Werften vorläufig abgewendet. Dort sind die Schiffbauer auf Kurzarbeit, weil der Kreuzfahrt-Tourismus wegen der Pandemie in der Krise steckt. Auch sonst ist die Situation der norddeutschen Werften nicht leicht – wegen des asiatischen Kosten-Dumpings.

Sie hat nichts mehr zu verlieren - und schießt wild um sich: Luise Heyer als Sabine Brenner im
Sie hat nichts mehr zu verlieren - und schießt wild um sich: Luise Heyer als Sabine Brenner im "Polizeiruf 110". © dpa | Christine Schroeder

"Polizeiruf": Mörderische Rächerin in Hochform

Im wirklichen Leben hätte Sabine nach ihrer Kündigung vermutlich Hartz IV beantragt. Im „Polizeiruf“ läuft sie als mörderische Rächerin zur Hochform auf. Die Kommissare haben die unscheinbare Frau lange nicht auf dem Schirm, sind mit sich und ihrer Liebe beschäftigt. Was auch nicht frei von Problemen ist, aber dennoch ein starker Kontrast zu den Bluttaten von Sabine. Ein wuchtiger „Polizeiruf“, bei dem alles stimmt. Unbedingt sehenswert.

„Polizeiruf 110: Sabine“, Das Erste, 14.3 um 20.15 Uhr