Berlin. Der mutmaßlich rassistische Anschlag von Hanau ist Thema bei Lanz. Seine Gäste bleiben sachlich – doch Lanz setzt falsche Schwerpunkte.

Nein, der Täter hat nicht willkürlich getötet, verbessert der Journalist Olaf Sundermeyer gleich zu Beginn des Talks den Grünen-Politiker Omid Nouripour. Dabei meinte letzterer das gar nicht relativierend – aber es sind nun einmal die kleinen semantischen Unterschiede, die in der aktuellen Situation viel zählen.

„Der Täter hat gezielt Menschen ausgewählt, die seiner Hassprojektion entsprachen, die einen migrantischen Hintergrund haben“, sagt Sundermeyer. Markus Lanz selbst spricht unbedacht von einem Angriff gegen Fremde – und übernimmt so die Tätersicht durch seine Ausdrucksweise. Waren die Ermordeten von Hanau wirklich Fremde? Nein, denn sie waren ein Teil unserer Gesellschaft.

Bei Lanz bleibt für Gefühle von Menschen mit Migrationshintergrund wenig Zeit

Lanz’ und Nouripours kleine Fauxpas sind nur zwei der Anzeichen dafür, warum man die Sendung am Donnerstagabend anders hätte gestalten sollen. Zwar bleiben alle Gäste sachlich und versuchen weitestgehend Emotionalisierungen zu vermeiden. Doch der Talk verliert sich an zu vielen Stellen in einer im Dunkeln stochernden Analyse des Täters.

Dagegen bleibt für die Gefühle von Menschen mit Migrationshintergrund nach dem Terrorakt von Hanau kaum Redezeit übrig, ebenso wenig wird konstruktiv über mögliche Lösungsansätze und Strategien im Kampf gegen den Rechtsextremismus gesprochen. Natürlich ist es in jeder Hinsicht der richtige Schritt, am Donnerstagabend über die grausame Tat zu sprechen. Dabei aber fast nur den Täter einer Nabelschau zu unterziehen, ist nachlässig.

Psychiaterin bei Lanz: Ferndiagnose für toten Attentäter

Beispielsweise diagnostiziert die Psychiaterin Nahlah Saimeh aus der Ferne und über den Tod eines Menschen, den sie nicht kennt, hinaus, welche psychischen Probleme dieser gehabt habe. In einem sehr langen Redebeitrag erläutert sie, der Täter Tobias R. hätte an einer chronifizierten Psychose und einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung gelitten.

„Er ist wahrscheinlich im Alltag an seiner Psychose gescheitert. Und dann bietet die rechtsradikale Ideologie eine wunderbare Vorlage, um sich das zu erklären“, sagt Saimeh. Selbst wenn diese Ferndiagnose stimmen sollte – reicht denn eine gefestigte rechtsextreme Ideologie nicht als Tatmotivation aus? Muss sie immer mit Krankheit gepaart sein? Es kommt einem vor, als werde auf psychische Probleme zurückgegriffen, weil man sich nicht vorstellen kann, dass Hass wirklich tödlich enden kann.

Kriminalkommissar Fiedler: „Bild-Zeitung verhält sich verantwortungslos“

Einziger Lichtblick der Sendung, die versucht aus Psychologie und Verschwörungstheorien ein Bild vom Täter zu formen, ist Kriminalkommissar Sebastian Fiedler. Der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter findet klare Worte zur Radikalisierung der rechten Szene durch Echokammern im Netz und dazu, dass jemand wie Tobias R. trotz Sportschützen-Schein wegen seiner psychischen Probleme gar nicht erst an eine Waffe hätte kommen dürfen.

Vor allem kritisiert Fiedler aber den Fokus auf den Täter, den er auch besonders bei einem Medium beobachtet: „Die Bild-Zeitung verhält sich in dieser Situation völlig verantwortungslos“, meint Fiedler. Die „Bild“ hatte am Donnerstag den vollen Namen des Täters sowie dessen Bekennervideo veröffentlicht. Damit erreichten Terroristen genau das, was sie wollten, nämlich Aufmerksamkeit und Nachahmer, so Fiedler.

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    Einig sind sich die Talk-Gäste vor allem in einem Punkt: „Es haben ganz viele Stellen versagt, bevor man bei der Polizei oder dem Verfassungsschutz angelangt ist“, sagt Olaf Sundermeyer. Warum haben Familie und Arbeitskollegen des Täters nicht reagiert, nicht Hilfe gesucht? Fiedler glaubt die Lösung in einer Offensive niedrigschwelliger Beratungsangebote zu sehen – damit sich Angehörige nicht direkt an die Polizei wenden müssten, um dort vielleicht sogar abgewiesen zu werden.

    Es ist einer der wenigen nach vorne gedachten Gedanken der Sendung. Inwiefern man rechter Gewalt auch als Staat in Zukunft entgegentreten kann, danach fragt Lanz nicht einmal. Dafür erinnert Omid Nouripour daran, dass wir alle ein Auge auf die schwelenden Anfänge haben können: „Ich flehe alle an: Wenn ihr die Demokratie nicht zerstören wollt, überlegt mal eine Sekunde vorm Posten, ob das, was ihr im Netz verbreitet, Hetze ist oder nicht.“

    Markus Lanz am 20. Februar – das waren die Gäste:

    • Olaf Sundermeyer, Investigativ-Journalist und Extremismus-Experte
    • Nahlah Saimeh, forensische Psychiaterin
    • Sebastian Fiedler, Kriminalkommissar und Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter
    • Patrick Gensing, Leiter des tagesschau.de-Onlineportals „faktenfinder“
    • Omid Nouripour, Politiker, Bündnis 90/Die Grünen

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