Berlin . Die „Tatort“-Kommissarin und Emmy-Gewinnerin Anna Schudt spricht über ihren neuen Film, Callboys und den rauen Zauber des Ruhrgebiets.

Im Hintergrund klingelt während des Telefongesprächs mit unserer Redaktion zweimal Anna Schudts Handy. Es ist viel los, die Wahl-Düsseldorferin vom Bodensee ist für die Berlinale in der Hauptstadt, geht auf Empfänge, trifft Leute. „Das ist immer sehr spaßig“, sagt sie fröhlich.

Spaß macht der Dortmunder „Tatort“-Kommissarin und Emmy-Gewinnerin (für ihre Rolle als Gaby Köster in „Ein Schnupfen hätte auch gereicht“) auch ihr neuer Film „Wie ein Ei dem anderen“ aus der Reihe „Mordshunger – Verbrechen und andere Delikatessen“. Das ZDF zeigt ihn heute, 20.15 Uhr. Wieder spielt die 44-Jährige die schnüffelnde Köchin Britta, die bizarre Fälle im Bergischen Land löst.

Ihre „Mordshunger“-Heldin Britta schimpft von Herzen gern. Sie auch?

Anna Schudt: Ich vermeide Schimpfen, weil ich glaube, dass man damit nicht so weit kommt.

Auch nicht mit Ihren Kindern?

Mit den kleinen Jungs muss ich natürlich schimpfen. Die sind sechs und sieben. Ich schimpfe vor allem, wenn sie sich hauen. Andererseits ist das ja herrlich bei Jungs. Ich möchte eine große Lanze für Jungs brechen, weil die so klar sind.

Die haben gar keine psychologischen Hintergedanken und überlegen sich: Warum hat der jetzt das gesagt? Die hauen sich auf die Schnauze und danach ist wieder gut. Im übertragenen Sinn finde ich das nachahmenswert. Schimpfen muss ich trotzdem mit ihnen, denn manchmal sieht mir das zu brutal aus, das hält mein Mutterherz nicht aus.

Kaum zu fassen: Anna Schudt im November vergangenen Jahres mit ihrem Preis für die beste Hauptdarstellerin bei den 46. International Emmy Awards in New York.
Kaum zu fassen: Anna Schudt im November vergangenen Jahres mit ihrem Preis für die beste Hauptdarstellerin bei den 46. International Emmy Awards in New York. © dpa | Amy Sussman

Was haben Sie außer Ihrer Trophäe mitgenommen von der Emmy-Verleihung?

Ich war vor allen Dingen beeindruckt von Filmemachern aus Südafrika oder Südamerika, die ganz andere Themen behandeln als Hollywood. Von dieser Ernsthaftigkeit, mit der sie das betreiben. Das hat mich in meiner Haltung bestätigt. Du musst ernst nehmen, was du tust. Das ist wichtig.

Wie beurteilen Sie die derzeitigen Frauenrollen im deutschen TV?

Die Vielfalt hat sich etwas verbessert, aber ich denke, da gibt es noch viel zu tun. Die Sehgewohnheit lässt sich nur langsam verändern. Bei Männern gibt es viel mehr interessante Charaktere, die nicht so im Erzählklischee stecken bleiben.

Gar nicht dem Frauenklischee entspricht Ihre Figur der „Tatort“-Kommissarin Martina Bönisch. Bucht sie eigentlich immer noch Callboys?

Was die Callboys als Phänomen angeht, war das ein extremer Ausbruch aus dem normalen Krimialltag. Da war plötzlich diese Kommissarin, die sagt: „Ich habe das Recht, mir zu nehmen, was ich will.“ Ich fand das sehr anarchisch auf der einen Seite und sehr hilflos auf der anderen Seite. Dadurch gibt es eine großartige Reibung innerhalb dieser Figur. Deswegen würde ich sagen: Natürlich gibt es die Callboys noch. Sie spielen mit. Aber sie spielen im Moment nicht sichtbar mit. Diesen Charakterzug und diese Tendenz aber, die hat sie. Wenn die weg wären, wäre es sehr schade.

Beurteilt der Zuschauer eine Frau, die Sexdienstleister bucht, anders als einen Mann?

Bei Frauen gilt es als absolutes No-Go. Es heißt dann: Warum hat sie es nötig, sich einen Callboy zu besorgen? Wenn Männer in den Puff gehen, ist das tendenziell normal.

Es gilt vielleicht als normal, aber ist es dennoch verwerflich?

Ich würde mich einer Wertung entziehen. Zunächst einmal ist es ein menschliches Phänomen seit Jahrtausenden.

Kann man Sexdienstleister sein, ohne dass Ausbeutung im Spiel ist?

Daran glaube ich nicht. Wenn man sich mit seinem Intimsten verkauft, bedeutet das was.

Wie haben Sie bei Ihrem ersten „Tatort“-Dreh 2012 die Stadt Dortmund wahrgenommen?

Das Ruhrgebiet ist ein extremes Arbeitermilieu. Es ist wahnsinnig pragmatisch, trotzdem sind die Leute sehr herzlich. So fremd mir diese verbaute Autolandschaft ist, so zauberhaft sind die Menschen. Ja, es ist sehr rau, ich hatte erst Schwierigkeiten, mich da einzufinden, aber mittlerweile habe ich mich da eingefunden und die Leute haben mir dabei sehr geholfen.

Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau will das „Tatort“-Team wegen „Mobbing“ gegenüber seiner Stadt gern in Rente schicken.

Das finden wir traurig. Wir drehen da ja nicht, um zu zeigen, wie schrecklich die Stadt ist. Oder wie doof die Menschen sind. Oder wie hässlich das Umfeld ist. Er braucht sich keine Sorgen zu machen, dass wir seine Stadt verunglimpfen. Im Gegenteil, wir haben sie sehr gern.