Essen. Florence Kasumba hat ihren ersten Auftritt als „Tatort“-Ermittlerin neben Maria Furtwängler. Es geht um ein verschwundenes Kleinkind.
Am emotionalsten durchgeschüttelt wird der mit allerlei gewaltsamen Scheußlichkeiten vertraute Krimi-Zuschauer, wenn es um Kinder geht. Entführung, Schläge, Missbrauch: keine leichte Kost.
Für sensible Gemüter ist der neue Furtwängler-„Tatort“ gar nichts. Obwohl das Genannte keine Rolle spielt. Es geht um eine Teenagermutter, die ein Baby zur Welt bringt. Im maximal verranzten, ausrangierten Umkleidetrakt einer Schule. Nach der Geburt legt sie das Neugeborene in einen Spind. Sie selbst verschwindet dann ebenfalls.
Deshalb ist Charlotte Lindholm in ihrem ersten Göttinger Fall auf der Suche nach dieser Frau – und nach dem Kind. Was vorgefallen ist, muss sich Lindholm erst zusammensetzen. Rätselhafte Umstände, dazu ein neues Arbeitsumfeld: Lindholm ist unter Stress.
Neue Ermittlerin, ähnliches Dominanzverhalten
In der „Tatort“-Folge „Das verschwundene Kind“ (Regie: Franziska Buch), einer Art Neustart der Lindholm-Erzählung, liegt das auch daran, dass zur knalligen Handlung eine extra-explosive Duo-Dynamik hinzukommt.
Lindholm, vom Hannoveraner LKA zur Kleinstadtpolizei („In zwei Wochen bin ich wieder weg“) strafversetzt, zickt sich durch die brave Göttinger Szenerie, dann trifft sie auf eine, die noch taffer ist als sie: Kommissarin Anaïs Schmitz, dargestellt von Florence Kasumba
Kusamba, die in Essen aufwuchs, ist vor allem Superhelden-Fans ein Begriff sein dürfte. Sie spielte schon häufiger in Marvel-Verfilmungen mit – unter anderem in „The First Avenger: Civil War“, auch im Oscar-nominierten „Black Panther“. Auch spielte sie in „Wonder Woman“ (DC).
“Tatort“ Göttingen: Bilder aus „Das verschwundene Kind“
Schmitz ist die erste farbige Ermittlerfigur, und man darf durchaus sagen: Wurde auch langsam Zeit. Aber weil Hautfarbe ohnehin kein hinreichender Grund sein sollte, um aufzufallen, haben die Drehbuchschreiber der Ermittlerin ein ähnliches Dominanzverhalten wie Lindholm ins Stammbuch geschrieben.
Wobei Lindholms Auftreten vergleichsweise dezent ist – im Zuge der Ermittlungen, die das Duo auf den Schulhof führen, scheuert ihr Schmitz („Mangelnde Impulskontrolle. Habe schon mehrere Therapien gemacht. Nutzt nichts.“) tatsächlich eine, so richtig schön ins Gesicht.
Private Pointen wirken teils überzogen
Der erste gemeinsame Fall führt ins Arbeitermilieu, wo einem alleinerziehenden Vater (Merab Ninidze) neun Monate überhaupt gar nix aufgefallen sein soll, dann aber plötzlich ein Kind geboren ist.
Dazu kommen ein schnuckeliger Lehrer (Steve Windolf), ein treuherziger Bruder (Emilio Sakraya), und ein pseudofürsorglicher Kickboxer (Oliver Stokowski). Sie alle befanden sich im Dunstkreis der 15-Jährigen Julija Petkow (Lilly Barshy), die bald als Mutter ausgemacht und auch gefunden wird.
Arg bemüht wirkt a) die Ungezwungenheit des neuen Vorgesetzten (Luc Feit) und b), dass Lindholm dann gleich auch den in der Pathologie beschäftigten Ehemann (Daniel Donskoy) der Co-Ermittlerin Schmitz anflirten muss. Es sind noch einige Göttingen-„Tatorte“ geplant; man wünscht sich durchaus, dass private Pointen moderat gesetzt werden.
Fazit: Bis der Täter gestellt ist, muss der Zuschauer mit den beiden Ermittlerinnen lernen, dass zu wirklich jedem „Tatort“ eine Leiche gehört. Dabei hätte man sich doch gerade diesmal gewünscht, dass es anders wäre.
„Tatort: Das verschwundene Kind.“ Sonntag, ARD, 20.15 Uhr