Köln/Berlin. Angaben in einigen Folgen der WDR-Dokureihe „Menschen hautnah“ haben sich als falsch herausgestellt. Der Sender zieht Konsequenzen.

Der WDR zieht Konsequenzen aus Fehlern in mehreren TV-Dokumentationen – und trennt sich von der Autorin der Beiträge. Das verkündete der Kölner Sender am Freitag in einer Mitteilung.

Vor einigen Tagen war bekannt geworden, dass in drei TV-Dokumentationen der Reihe „Menschen hautnah“, die im Westdeutsche Rundfunk (WDR) liefen, Komparsen eingesetzt wurden. Der Sender ließ die Sendungen prüfen und fand Fehler bei Namens- und Altersangaben.

In der Mitteilung vom Freitag heißt es nun, dass der Sender neue Erkenntnisse zu weiteren Mängeln der Doku-Folge „Ehe aus Vernunft“ aus der Sendereihe hat. So sei die Beziehungsgeschichte des dort porträtierten Paares „in unzulässiger Weise zugespitzt“ worden.

Facebook-Nutzerin erkannte Schwindel früh

Einer der Komparsen ist Sascha Mahlberg. Er und seine Frau Tanja waren in der Doku als eines von drei Paaren präsentiert worden, die behaupteten, nur aus Vernunftgründen zusammen zu sein und nicht, weil sie sich liebten.

Mahlberg hat darüber hinaus in zahlreichen Filmen, Videos und Doku-Soaps mitgewirkt. Eine Facebook-Nutzerin aus Wuppertal erkannte ihn wieder und postete noch am Abend, an dem die Folge ausgestrahlt wurde: „Ist die Geschichte von Sascha echt ...?“ Der kommt mir als Statist von anderen Sendern bekannt vor!“

„Zeit“ porträtierte Mahlberg 2018 als Komparsen

Die Redaktion von „Menschen hautnah“ schrieb ihr fünf Tage später, Mahlberg habe bis 2016 ab und an „als Hobby“ als Kleindarsteller gearbeitet. Das war wohl etwas geflunkert. Denn Mahlberg ist immer noch Kleindarsteller.

Zudem ist sein „Hobby“ ebenso zeitaufwendig wie einträglich. Der „Zeit“, die ihn im September 2018 als Komparsen porträtiert hatte, erzählte Mahlberg, dass er bisher in 169 Produktionen mitgewirkt habe. „Als Seriendarsteller im Nachmittagsprogramm verdient er um die 400 Euro am Tag, mit seiner Familie in Reality-Sendungen bis zu 6500 Euro für sechs Drehtage“, schrieb die Wochenzeitung.

Auch vom WDR gab es Geld. Ihm sei, wie der Sender auf Anfrage unserer Redaktion mitteilte, eine „Aufwandsentschädigung“ in Höhe eines niedrigen dreistelligen Betrags gezahlt worden.

WDR-Chefin Fernsehen: „Vertrauensverhältnis zur Autorin ist gestört“

Der WDR reagierte nun auf die Rechercheergebnisse. „Das Vertrauensverhältnis zur Autorin ist zerstört“, wird Ellen Ehni, WDR-Chefredakteurin Fernsehen, in der Mitteilung zitiert. „Deshalb werden wir sie ab sofort nicht mehr beauftragen.“

Der WDR hat den Film nach eigenen Angaben inzwischen aus der Mediathek entfernt. Die nun geschasste Autorin arbeitet seit 2002 für den WDR. Sie hat auch an Scripted-Reality-Formaten von Privatsendern mitgewirkt – ein Genre, bei dem Handlungsstränge frei erfunden werden.

Schon am Donnerstag hatte der Sender angekündigt, Qualitätsstandards zu erhöhen. „Maßnahmen zur Qualitätssicherung“ sollen Ausgebaut werden. Konkret geht es um eine Ausweitung des Vieraugen-Prinzips und die Gegenrecherche, zudem sollen die Kriterien für die Protagonistensuche präzisiert werden.

Unstimmigkeiten in drei Dokumentationen

Einen Monat nachdem der Medienskandal um den ehemaligen „Spiegel“-Reporter Claas Relotius bekanntgeworden war, hatte der WDR am Donnerstag Fehler in der journalistischen Sorgfaltspflicht eingestanden.

Dem Nürnberger Journalisten Paul Bartmuß war einige Tage zuvor aufgefallen, dass in drei Sendungen der Reihe „Menschen hautnah“ jeweils das identische Paar auftrat. Dabei seien die Altersangaben und Jahreszeiten verändert worden.

Porträtiertes Ehepaar tauchte unter verschiedenen Namen auf

Laut eines SZ-Berichts sind neben der Sendung „Ehe aus Vernunft – Geht es wirklich ohne Liebe?“ vom 10. Januar auch die Folge „Liebe ohne Zukunft? Heimliche Affären und ihre Folgen“ vom 27. November betroffen.

Das porträtierte Ehepaar hieß im Januar noch Manuela und Oli und lebte in einer „Vernunftehe“, um Geld für eine zweite Wohnung zu sparen. In einer früheren Folge trat exakt dasselbe Paar auf – allerdings hieß Oli damals noch Sven und hatte gerade die Trennung von Manuela hinter sich.

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Protagonisten über eine Komparsen-Firma angeheuert

Der WDR wurde auf den Tweet aufmerksam und leitete eine Prüfung an. Die Vermittlung über die Komparsen-Website verurteilt der WDR. „Diese Vorgehensweise ist für ein dokumentarisches Format wie ‘Menschen hautnah’ nicht akzeptabel. Die Redaktion war darüber nicht informiert“, teilte Fernseh-Chefredakteurin Ehni mit.

Zudem fand der Sender die Fehler bei den Jahreszahlen und Altersangaben.

Im Dezember sorgte der Fall von Claas Relotius für Schlagzeilen

Der Fall erinnert an die erfundenen Geschichten des ehemaligen „Spiegel“-Reports Claas Relotius. Der 33-jährige Reporter war Träger des Deutschen Reporterpreises, ehe sein Kollege Juan Moreno den Schwindel aufdeckte. (dpa/tki/khr)