Essen. „37 Grad“ zeigt Eltern, die auf die finanzielle Unterstützung ihrer Kinder angewiesen sind. Der Rollenwechsel bringt Krisen mit sich.

Gisela aus Siegen war Geschäftsführerin einer Restaurantkette, als ein Herzinfarkt sie mit 53 Jahren aus dem Beruf warf. Kurz darauf ging ihre Ehe in die Brüche, und die heute 66-Jährige fiel finanziell in ein tiefes Loch.

Fast hätte sie ihre Wohnung verloren – wenn nicht ihre Tochter Christiane, damals noch Studentin, die Bürgschaft für die Miete übernommen hätte. „Es fiel mir schwer, in der Situation meine Tochter um Hilfe zu bitten“, erinnert sie sich.

Glücklicherweise nahm Gisela die Unterstützung trotzdem an. Anders als die Mutter von Conny, die ebenfalls nur über eine kleine Rente verfügt. Connys Mutter, deren Name und Gesicht vor der Kamera verborgen bleiben, sitzt lieber weiter im dunklen Zimmer, um Strom zu sparen, als ans Telefon zu gehen, wenn ihre Tochter anruft.

„Meine Mutter“, erklärt die Altenpflegerin aus Stuttgart verzweifelt unter Tränen, „war schon immer so auf dem Trip: Ich schaff’ das alleine, ich brauche keine Hilfe.“

Vor allem Frauen sind von Altersarmut gefährdet

Zwei Frauen, zwei Beispiele (von dreien), die stellvertretend eine Situation belegen, die in der medialen Wirklichkeit bisher noch zu wenig Beachtung fand: Altersarmut in Deutschland.

Es gibt sie öfter als man glauben mag, und ihre Auswirkungen auf den erhofft „würdevollen Lebensabend“ sind demütigend für alle. Gerade Frauen, die „wegen der Kinder“ nicht voll gearbeitet haben, sind betroffen.

In den nächsten Jahren könnte jede dritte Frau, die in Rente geht, auf zusätzliche finanzielle Unterstützung angewiesen sein, so die Schätzungen einer Studie der Bertelsmann Stiftung.

Allerdings interessiert die Situation der armen Alten Birthe Jessen nur am Rande. In bewähr­ter Nahaufnahme legt ihr „37 Grad“-Film den Fokus mehr auf die (erwachsenen) Kinder, die sich rührend um ihre armen Mütter kümmern.

Krisen bei unfreiwilligen Rollenwechsel bleiben nicht aus

Sie tun es aus Liebe. Trotzdem bleiben Krisen bei diesem unfreiwilligen Rollenwechsel nicht aus: Mütter, die für ihre Kinder immer die starken Versorger in allen Lebenslagen waren, haben mitunter massive Probleme, die Hilfe ihrer Kinder anzunehmen.

Und tatsächlich sind auch Kinder nicht immer in der Lage, so zu helfen, wie sie wollen: Sebastian würde seine Mutter, die in Neumünster mit 750 Euro Rente auskommen muss, gerne zu sich nach Essen holen. Nur wie – der junge Vater machte gerade eine Ausbildung.

In Deutschland müssen gesellschaftliche Lösungen her

Es ist ein Jammer – auch, dass der Film zu sehr an der Oberfläche kleben bleibt. Es ist ihm zugutezuhalten, dass er dieses wichtige Thema aufgreift. Und natürlich ist es schön zu sehen, wie liebevoll sich erwachsene Kinder um ihre alten Mütter kümmern, selbst dann, wenn sie selber nicht gerade zu großen finanziellen Sprüngen in der Lage sind.

Darüber hinaus erfährt der Zuschauer aber zu wenig über die komplexen Eltern-Kind-Beziehungen. Und schon rein gar nichts darüber, wo welche Hilfen zu finden wären.

Altersarmut ist schließlich kein Problem, das individuell, sozusagen familienintern, gelöst werden kann. In einem der reichsten Länder der Welt müssen gesellschaftliche Lösungen her, jetzt, sofort.

Fazit: Ein stark menschelnder Beitrag, dem mehr Tiefgang gutgetan hätte.

ZDF, Dienstag, 15. Januar, 22.15 Uhr