Berlin . In „Prager Botschaft“ trifft Helen Dorn eine ihr sehr ähnliche Täterin – mit einem Fall, der in die Tage vor dem Mauerfall zurückführt.

Ein Dorn steht für Schmerz, aber auch für Schutz, kommt auf die Perspektive an. Und wer sagt, Namen seien ohne Bedeutung, kann sich ja mal fragen, warum die Autoren ihre Kommissarin Helen Dorn und nicht Susi Fröhlich genannt haben. Helen Dorn trägt das Trauma des Verlustes ihrer Mutter in sich, Schuldgefühle und brennende Fragen. Ihre schroffe, abweisende Art ist ihr Versuch, sich weiterer Verletzungen zu erwehren.

Das gelingt in ihrem zehnten Fall freilich nicht, weder physisch noch psychisch. Gleich zu Beginn von „Prager Botschaft“ gerät die Düsseldorfer LKA-Ermittlerin (Anna Loos) in einen Schusswechsel, an dessen Ende der Kriminelle und ein Passant tot sind und Helen Dorn schwer verletzt im OP-Saal liegt. Die an Leib und Seele lädierte Polizistin entgeht der Versetzung in den Innendienst nur, weil BKA-Kollege Felix Schwarz (Christoph Letkowski) ihre Expertise braucht.

Ein Opfer mit DDR-Vergangenheit

Schwarz ermittelt im Fall des 2014 in Prag entführten Silicon-Valley-Investoren Paul Westerberg. Der Digitalpionier galt als tot, das Lösegeld wurde nie abgeholt. Nun aber ist eine Flaschenpost aufgetaucht, darin ein Hilferuf ebendieses Paul Westerberg (August Zirner), der 1989 aus der DDR über die Prager Botschaft in den Westen und dort zu Ansehen und Geld gekommen war.

Jetzt scheint es, als wäre er immer noch ein Gefangener. Dorn und Schwarz erkennen bald, dass Westerberg nicht nur der lässige IT-Unternehmer war. Der Grund seiner Entführung reicht weit zurück, in die Tage vor dem Mauerfall.

Regisseur Alexander Dierbach inszeniert einen Film über zerstobene Lebensträume im Schatten einer großen Zeitenwende, das Drehbuch von Clemens Murath und Florian Oeller erzählt, wie ein Mann und seine Tochter durch ein ihnen zugefügtes Unrecht aus der Bahn geworfen werden und wie dieses Unrecht für den Täter zum Quell seines Aufstiegs wird.

Ein Film über Schuld und Sühne, der mit Wucht eine geradezu alttestamentarische Rache vorführt, die nichts besser oder gar wiedergutmacht. Geschickt montiert Dierbach die drei Zeitebenen 2018, 2014 und 1989. Der Schnitt lässt einige Szenen- und Zeitenwechsel zur fließenden Bewegung werden. In diesen Momenten ist der Krimi von Kunst nicht weit entfernt.

Spannendes Lehrstück über Recht und Unrecht

Eine Geschichte über Vater-Tochter-Verhältnisse ist die Reihe seit ihrem Start. Zu Vater und Tochter Dorn, deren wortkarges und doch so zärtliches Miteinander zu den leisen Höhepunkten des Films zählt, tritt nun ein weiteres Vater-Tochter-Paar, auf der anderen Seite stehend, doch in seiner Verletzlichkeit den Dorns so ähnlich.

Das Finale gehört der großartigen Anna Loos. Ihr eindringliches Spiel zeigt Helen Dorns Zerbrechlichkeit in den nicht raren Momenten neuer Schicksalsschläge in beispielloser Intensität. Am Krankenbett ihres im Koma liegenden Vaters Richard (Ernst Stötzner) hört sie dessen Stimme als Verheißung auf eine bessere Zukunft, als Versprechen, Antworten auf ihre Fragen zu erhalten. Weitere seelische Verheerung ist nicht ausgeschlossen, aber ebenso wenig die Aussicht auf Linderung.

Fazit: Grandiose psychologische Studie verletzter Frauen, spannendes Lehrstück über Recht, Unrecht und Selbstjustiz.

„Prager Botschaft“, Samstag, 1. Dezember, 20.15 Uhr, ZDF

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