Dunja Hayali: Judenhass ist wieder Alltag in Deutschland
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Von Anne-Sophie Balzer
Berlin. Dunja Hayali widmet sich anlässlich der Reichspogromnacht am 9. November dem Antisemitismus. Der Talk zeigt, wie aktuell das Thema ist.
Der Holocaust muss nicht unterhalten. Und eine Sendung von Dunja Hayali anlässlich der Reichspogromnacht, die sich dieses Jahr am 9. November zum 80. Mal jährt, muss es ebensowenig. Am 9. November 1938 wurde durch eine Rede Joseph Goebbels ein Vernichtungssystem ausgerufen, das den in der Gesellschaft schwelenden Antisemitismus in Deutschland nutzte für eine Massenvernichtung, der in den darauffolgenden Jahren sechs Millionen Juden zum Opfer fallen sollten.
Innehalten, Erinnern und Gedenken ist darum kein öffentlich-rechtliches Infotainment, sondern Staatsräson in Deutschland. Und den Anfängen zu wehren heißt heute wieder mehr als nur mahnende Vorsicht walten zu lassen.
Dunja Hayali hat in ihrer Sendung „Neuer alter Hass – Wie antisemitisch ist Deutschland?“ genügend Anlässe, das Thema Antisemitismus nicht nur in schaurigen Rückblenden in die deutsche Vergangenheit zu behandeln. Alltäglichen Antisemitismus kann man sich auch auf verwackelten Handyvideos und in sozialen Netzwerken anschauen. Im Jahr 2018 sind verbale oder gar tätliche Angriffe auf Juden in Deutschland auf eine Weise sag- und sichtbar geworden, wie es vor einigen Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre.
Jüdische Familien berichten Dunja Hayali von alltäglichen Angriffen
Die Moderatorin steigt darum mit einem Einblick in den Alltag zweier jüdischer Familien ein. Sie erzählen von Ressentiments, von Beschimpfungen und tätlichen Angriffen im Alltag und von dem Gefühl, die eigene Religion nur im Geheimen leben zu können.
Alon Meyer ist Präsident des jüdischen Sportvereins Makkabi Deutschland und aus Frankfurt bei Hayali zu Gast. Seine Kinder gehen auf eine jüdische Schule, hohe Sicherheitsvorkehrungen und das Gefühl einer steten Bedrohung bestimmen den Alltag der Familie. Meyer sagt: „Es ist nicht mehr fünf vor zwölf, es ist zwei oder eins vor zwölf.“ Antisemitismus werde ihm vor allem von arabischstämmigen Menschen entgegengebracht, erklärt er, „zum Glück nur von einem ganz kleinen Teil der Muslime“.
Auch Nora, die mit ihrer Mutter ebenfalls in Frankfurt lebt, kennt das Gefühl, ihre Religion und Familiengeschichte verstecken zu müssen. Eine Kette mit einem Davidstern trägt sie schon länger nicht mehr, spätestens seit Mitschüler ihr gegenüber antisemitische Witze machten. Vor einiger Zeit wurden Scheiben ihrer Wohnung im Erdgeschoss zerschlagen und Hakenkreuze an die Häuserwand geschmiert. Nora und ihre Mutter zogen in den vierten Stock um, die Täter wurden nie ermittelt.
Porträts von Holocaust-Überlebenden
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Sawsan Chebli nimmt Muslime in die Pflicht
Es sind nur zwei Beispiele vom Alltagsleben jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland. Sie zeigen, unter welchen Bedingungen diese heute leben: verunsichert und unter dem Eindruck ständiger Bedrohung.
Als prominenten Gast hat sich Dunja Hayali die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli eingeladen, die als Muslima mit palästinensischen Wurzeln jene Muslime in Deutschland in die Pflicht nimmt, von denen ein Teil des Antisemitismus ausgeht, den Menschen wie Nora oder Alon Meyer zu spüren bekommen.
Ihr blute das Herz, wenn sie von solchen Erfahrungen höre, sagt Chebli. „Der Kampf gegen Antisemitismus muss auch unser Kampf sein, der Kampf der Muslime“, erklärt sie und macht auf die Schnittmengen von Islamophobie und Antisemitismus aufmerksam. Beide seien Gift für eine freie, demokratische Gesellschaft.
Antisemitismus ist wie Nieselregen
Diese freie Gesellschaft wird jedoch auch durch Geschichtsrevisionisten wie den AfD-Politiker Alexander Gauland bedroht, der vom Holocaust als einem Vogelschiss der Geschichte spricht. Oder von jenen, die Kritik an der Politik Israels als Vorwand für Judenfeindlichkeit nutzen. Antisemitismus kommt in unterschiedlichen Gewändern daher, neuerdings aber immer eindeutiger. Die junge Jüdin Nora aus Frankfurt sagt, er sei wie Nieselregen: „Man merkt ihn eine ganze Zeit lang kaum, doch dann ist plötzlich alles nass.“
Wenn also der über 90 Jahre alte Holocaust-Überlebende Natan Grossmann sagt, Deutschland sei heute ein anderes Land und dass das heutige Deutschland mit dem vor 80 Jahren nichts mehr gemeinsam habe – muss man ihm dann nicht widersprechen?
Aus Pflicht und Sorge skeptisch ist jedenfalls Grossmanns Freund Jens-Jürgen Ventzki, dessen Vater als überzeugter Nationalsozialist in der Position des Oberbürgermeisters für den Tod Hunderttausender Juden im Ghetto von Lodz verantwortlich war. Grossmann und er sprechen oft gemeinsam in Schulen und tragen ihre Erlebnisse und Erinnerungen weiter.
Und bei allen antisemitischen Ressentiments, die wieder giftige Blüten treiben: Es gab auch noch nie so viel ziviles Engagement eben gegen diese Gefahr.
Fazit: Hayali hat sich in ihrer Sendung viel vorgenommen. Erinnern an den 9. November und den Holocaust, der wiederaufkeimende Antisemitismus und die Verbindungen zwischen damals und heute, dazu geladene Gäste, die es alle verdient haben, ausreichend gehört zu werden. Trotz knapper Zeit von nur 45 Minuten gelingt Hayali eine einfühlsame Sendung. Vielleicht räumt ihr das ZDF künftig etwas mehr Zeit ein.