Stuttgart-„Tatort“ überrascht mit ungewohnter Perspektive
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Von Arnold Hohmann
Essen. Der Stuttgart-Tatort erzählt am Sonntag ein Verbrechen aus der Sicht des Hauptverdächtigen. So entsteht ein spannendes Porträt.
In letzter Zeit wird der sonntägliche „Tatort“ immer öfter zur Spielwiese für neue Formen in Sachen Verbrechen. Vielen merkt man deutlich die Anstrengung an, die es braucht, um aus eingefahrenen Gleisen einfach mal herauszukommen.
Die vermutlich besten Beiträge in dieser Hinsicht liefert seit einiger Zeit der SWR in Stuttgart, wo Autoren und Regisseure wirken dürfen, die den Zuschauer immer wieder staunen lassen – zuletzt mit „Stau“ von Dietrich Brüggemann und „Der rote Schatten“ von Dominik Graf. Und auch das jüngste Produkt aus dieser Ideenschmiede, „Der Mann, der lügt“, wirkt nur zu Anfang wie ein klassischer Krimi. Danach wird alles anders.
Konzentration auf einen Tatverdächtigen
Ein Anlageberater ist ermordet worden, die Polizei sucht den Täter vor allem im Umkreis seiner Kunden. Denn nicht wenige von ihnen hat er im Lauf der Zeit um viel Geld gebracht. Aus diesem Grund tauchen die Ermittler Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) am Arbeitsplatz des bislang unbescholtenen Jakob Gregorowicz (Manuel Rubey) auf, dessen Name sich im Kalender des Opfers findet.
Seine Behauptung, er habe mit dem Toten schon ewig keinen Kontakt mehr gehabt, schmilzt später jedoch dahin, als deutlich wird, dass beide zur Tatzeit immerhin miteinander verabredet waren. Von nun an ist die Kamera fast nur noch an diesem Mann interessiert, der einerseits so aufrichtig wirkt, sich aber andererseits mit der Zeit immer mehr in sein Unglück hineinreitet.
Durchbrochen wird diese Erzählform lediglich mal in Verbindung mit der Ehefrau des Lügners, Katharina (Britta Hammelstein), der dann sogar eine eigene Perspektive zugestanden wird.
„Tatort“ aus Stuttgart: „Der Mann, der lügt“
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Gehetzt von der Polizei
Martin Eigler (Buch, Regie) und sein Co-Autor Sönke Lars Neuwöhner favorisieren in ihrem Film diesmal nicht das übliche Buddy-Duo der Ermittler. Ihnen geht es um das Schicksal eines Menschen, der um jeden Preis seine eigene Welt retten will, dabei aber immer tiefer in den Morast seiner Lügen gerät.
Wobei zunächst völlig offenbleibt, ob er mit dem Mord tatsächlich etwas zu tun hat. Ein paar unscharfe Schwarz-Weiß-Einspielungen von erschreckenden Gewaltausbrüchen helfen da auch nicht weiter. Dass die beiden Kommissare wie unnachgiebige Eindringlinge wirken, liegt einfach daran, dass selbst sie im Grunde mit den Augen von Gregorowicz gesehen werden.
Ein spannende Charakterentwicklung
Der österreichische Hauptdarsteller Manuel Rubey mag den meisten Zuschauern wenig bekannt sein, seine Klasse hat er aber bereits in Mehrteilern wie „Braunschlag“ oder in dem Landkrimi „Drachenjungfrau“ unter Beweis gestellt.
Den „Mann, der lügt“ schultert er bravourös quer durch alle Stationen und achtet vor allem auch auf den körperlichen Zustand des Gehetzten. Mochte man ihm anfangs lediglich eine Krankheit attestieren, steht da am Ende eine verhärmte Gestalt, die kaum noch Ähnlichkeit aufweist mit der vom Anfang.
Fazit: Die Ermittler Lannert und Bootz stehen in diesem Fall in der zweiten Reihe. Die eigentliche Hauptfigur ist ein notorischer Lügner, der sich seine Welt nicht zerstören lassen will.