Berlin . Sexistisch, beleidigend und geschmacklos – Der Werberat überwacht seit 1972 die Reklame in Deutschland. Die Beschwerden nehmen zu.

In dem Büro in Berlin-Mitte hängt ein etwas in die Jahre gekommenes Werbeplakat einer Zigarettenmarke, das ein nahezu nacktes Pärchen zeigt. Das ist zunächst einmal erstaunlich, denn hier arbeitet Julia Busse, die Geschäftsführerin des Deutschen Werberats.Der Werberat ist die Institution, an die sich Bürger wenden können, die der Meinung sind, eine bestimmte Werbung sei unzulässig, weil sie die ein oder andere Gruppe diskriminiere oder schlicht und einfach gegen die guten Sitten verstoße.

Gerade erst hat er seine Halbjahresbilanz für 2018 veröffentlicht. Darin war zu lesen, dass die Zahl der Beschwerden in den vergangenen sechs Monaten im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozent auf 394 gestiegen ist. Und das Plakat im Büro der Geschäftsführerin? Ist es ein Beispiel für Werbung, wie sie nicht sein soll?

Sexistische Pizzawerbung

Ganz im Gegenteil: Busse mag das Plakat. „Nacktheit an sich ist kein Grund, um ein Werbemotiv zu beanstanden“, sagt sie. Wichtig sei, dass es einen Produktbezug gebe und die abgebildeten Personen nicht diskriminiert würden. Ein Negativbeispiel ist hingegen der Fall eines Pizzalieferdienstes aus Halle an der Saale. Dessen ­Plakat zeigt eine nur mit Spitzenunterwäsche bekleidete Frau, die sich auf Pizzakartons räkelt.

Eine Pizza liegt auf ihrem Bauch. Daneben steht der Schriftzug ­„Pizza Hot Spicy“. Dieser Text setze „die Frau mit den beworbenen Pizzen gleich“, befand der Werberat. Folglich sei die Werbung sexistisch.Es sind vor allem solche Motive, die von den Werbekontrolleuren beanstandet werden. 60 Prozent der Werbung, die bei ihnen durch das Raster fällt, diskriminiert Menschen.

„Menschen sind heute sensibler“

Auch die Beschwerden wegen frauenfeindlicher Werbung haben in letzter Zeit zugenommen. „Durch die ‚#MeToo‘-Diskussion ist das mehr geworden“, sagt Busse. „Die Menschen sind da heute sensibler.“ Über die Beschwerden entscheiden Leute vom Fach. Gegründet wurde der Werberat 1972 von Vertretern der Industrie und den Medien. Aus ihren Reihen stammen auch die Mitglieder des Entscheidungsgremiums, wie der Beschwerdeausschuss offiziell heißt, die darüber befinden, ob ein Motiv beanstandet wird.

Die Spruchpraxis des Werberats ist auch abhängig vom Zeitgeist. So beanstandete er in den 80er-Jahren eine Anzeige, in der ein Hersteller von Desinfektionsmitteln sein Produkt zusammen mit Albrecht Dürers Bild „Betende Hände“ zeigte. Der Text der Anzeige lautete: „Klassiker haben immer Saison.“ Der Werberat fand, gläubige Menschen könnten sich von dem Werbemotiv in ihren religiösen Empfindungen verletzt fühlen. „Dies würde heute möglicherweise nicht mehr so gesehen“, sagt Werberat-Geschäftsführerin Julia Busse.

Werberat kann auch öffentlich rügen

Von den 394 Beschwerden des ersten Halbjahrs 2018 wurden 60 vom Entscheidungsgremium be­anstandet. In fünf Fällen griff der Werberat zur härtesten Sanktion, der öffentlichen Rüge. Das tut er dann, wenn das werbende Un­ternehmen, wie etwa der Pizza­service aus Halle, das beanstandete Werbemotiv nicht zurückziehen will. Solche öffentlichen Rügen publiziert der Werberat meist in ­Lokal- und Regionalblättern, die dort erscheinen, wo der Aufraggeber der beanstandeten Werbung seinen Sitz hat.